Wettkämpfe 2017 - 2018





2018 war ein erfolgreiches Laufjahr. Mein persönlich erfolgreichstes Laufjahr. Vom beinahe Sportinvaliden zum 3-fach Halbmarathonfinisher. Das musste gebührend gefeiert werden. Wie sollte es anders sein - natürlich mit einem Lauf.

Silvester, Jahresende, der letzte Lauf im Laufjahr 2018 stand an. Ungefähr 900 Läufer versammelten sich auf dem Rheindeich in Uedesheim. Darunter meine Laufbekanntschaft Bernd und ich. Meine anderen Lauffreunde waren zur sehr damit beschäftigt gewesen schweres Geschütz im Vorgarten für das anstehende Silvesterinferno aufzufahren und hatten abgesagt. Man muss halt Prioritäten setzen und Laufen und die Aufrüstung des eigenen Haus und Hofes, mit auf dem Schwarzmarkt günstig erworbenen und garantiert illegalen Ost-Europäischen Feuerwerkskörpern, waren nicht für jeden Endzeitläufer unter einem Hut zu bekommen.
Ich hatte mich für Flo Neuschwanders Motto „ballern statt böllern“ entschieden und auf den Erwerb jeglicher mit Schwarzpulver gefüllten Hartpapp-Raketen verzichtet.

Pünktlich stand ich mit Bernd 12:00 Uhr auf dem Rheindeich. Die Bedingungen waren gut. Es war kühl, leicht windig, aber trocken. Ich freute mich auf die 10km lange Strecke am Rhein entlang. Gut auf die vor mir liegenden Forst- und Wiesenwege vorbereitet, trug ich meine saucony Peregine 8 Trailschuhe. Für Fahrradwege nicht unbedingt geeignet, aber auf Niederrheinischen Trampelpfaden meine absoluten Lieblingsschuhe.
Nicht eine Rakete die steil in die Neusser Wolkendecke schoss, sondern ein uns Läufer gewöhnlich, fast schon unoriginell bekannter Startschuss ertönte und wir setzten uns in Bewegung. Auf Asphalt! Der Rheindeich entpuppte sich als aalglatt geteerter Fahrradweg, perfekt geeignet für Rennräder, Inliner oder Straßenlaufschuhe, aber gar nichts für den Peregrine 8.

 
Ich quälte mich auf den ersten Metern über den Asphalt und versuchte mich durch ein Gespräch mit Bernd von meinen Fußschmerzen abzulenken. Durch die Masse mitgerissen liefen wir auf den ersten Kilometern eine 5er Pace. Deutlich zu schnell für Bernd, dessen Lunge wie ein alter Teekessel pfiff. Eine gepflegte Unterhaltung war nicht möglich, aber bestimmt auch nicht nötig, denn sicherlich würde es in ein paar Metern rechts vom asphaltierten Radweg runter in Richtung Rhein auf einen matschigen Feldweg gehen. Ein paar hundert Meter später ging es dann tatsächlich vom Radweg runter, aber nicht rechts Richtung Rhein, sondern links ins Wohngebiet.
Ein Untergrund der für den Peregine noch ungeeigneter als ein geteerter Radweg ist, ist eine gepflasterte Spielstraße. Wo war bloß der versprochene Naturweg am Rhein entlang? Hier in Uedesheim suchte ich ihn vergeblich.

Die Strecke machte ein paar Wendungen und führte am Reitgut Alt-Wahlscheid vorbei. Bitte versteht mich nicht falsch. Ich liebe alle Tiere. Auch Pferde, obwohl ich eine Pferdeallergie habe. Aber wieso müssen Hundebesitzer überall den Furz von einem noch so kleinen Yorkshire-Terrier von der Straße kratzen und Pferdebesitzer dürfen ungestraft ihre Gäule eine öffentliche Straße mit knöcheltiefen Pferdeäpfeln zukacken lassen?
Der Peregine liebäugelte schon mit der Herausforderung mit Anlauf in die matschig weiche Ausscheidung zu springen, aber ich zügelte das Trail-Biest, um meine Mitläufer nicht von oben bis unten mit Pferdekacke einzusauen.
Meine Vorstellung von einem idyllischen Schotterweg am Rhein entlang musste der Realität weichen. Der Rheindeich-Wanderweg entpuppte sich als Pferdeäppel-Ausweichweg. Wohlgemerkt vom Rhein weg Richtung A46. Anstelle des Wellenrauschens drang das hektische Endjahresrasen auf der Autobahn in mein Ohr.

Die Hälfte war geschafft. Bernd sah auf die Uhr. „Schon über 30 Minuten“ keuchte er. Das war’s dann. Mein Plan dieses Jahr wenigstens einmal den 10er unter einer Stunde zu laufen, war pulverisiert. Ich hatte die falschen Reifen aufgezogen, wurschtelte mich von links nach rechts durch monströse Kothaufen und lag schon deutlich hinter meiner geplanten Zeit. Nicht schlimm genug, wurden Bernd und ich nun auch von einer müffelnden Laufgruppe eingekesselt. Eine olfaktorische Bombe aus kalten Scheiß, billigen Moschus und Pferdemisst explodierte in meiner Nase. Ich begann zu würgen. Mir wurde speiübel. Wie konnte ein Läufer nur dermaßen stinken, dass er oder vielleicht auch sie, mich dermaßen animierte mein Frühstück als Sahnehäubchen auf ein Pferdeäpfelchen zu platzieren?
Bernd bemerkte mein Würgen. Ich wollte ihm sagen, dass es nicht an unser Pace läge und ich fit bin, aber bevor ich auch nur ein Wort sagen konnte, pumpte der schweißige Moschusgestank meine ersten Frühstücksbröckchen nach oben und ich konnte nur in allerhöchster Not und im letzten Moment gerade noch so die Ausfuhr stoppen. Sofort verdonnerte ich mir die Klappe zu halten, etwas schneller zu laufen und diese Stinktiergruppe hinter mir zu lassen.

Bernd hatte Mühe mitzuhalten. Die flache Strecke am Rhein entlang entwickelte sich zur Bergstrecke. Deich rauf, Deich runter, Autobahnbrücke rauf, Autobahnbrücke runter. Und immer in Slalomlinien durch die Pferdeäpfel. Immerhin sorgten die strategisch wohl platzierten Misthaufen für Abwechslung und vertrieb die monotone Langeweile der mittlerweile wieder geteerten Straße. Vermutlich hegte der Besitzer des Guts Alt-Wahlscheid einen Groll gegen Turnschuhheitzer und scheuchte am Vorabend die komplette Herde, mit der Ausrichtung alles mal schön für die Läufer morgen voll zu kacken, über die Rennstrecke. Mit großem Erfolg. Der Gestank trieb mich an schneller zu werden. Bernd gab mir das Zeichen nicht auf ihn zu warten.
Ich drehte auf und wollte diese Tortour schnellstmöglich hinter mich bringen. Der Rückweg führte erneut am Reiterhof Alt-Wahlscheid vorbei, durchs Wohngebiet, zurück rauf auf den Deichweg. Endlich war auch der Rhein mal wieder zu sehen. Nur noch einen Kilometer. Ich quälte mich die geteerte Strecke dem Ziel entgegen. Da war er auch schon in Sichtweite. Der Startbogen. Es wurde enger auf der Strecke. Endlich standen auch wieder Zuschauer am Wegesrand und feuerten an. Ich lief mit hoch rotem Kopf und letzter Kraft durch den Startbogen, aber erkannte sofort, dass es noch nicht das Ziel war. Verdammt, wo war das Ziel? Der Weg führte weiter den Rheindeich hinauf bis zum Restaurant „Rheinterrasse Uedesheim“, viel dann steil ab, machte eine 160° Grad Kurve und führte weiter bergab Richtung Rhein. Mit allerletzter Kraft und leerem Tank fiel ich durch’s Ziel. Bruttozeit 1:00:49.

Keuchend wurde ich von der Masse Richtung Getränkestand geschoben. Leise Hoffnung keimte in mir auf. Sollten vielleicht mehr als 49 Sekunden zwischen Startschuss und meiner Überquerung der Startlinie gelegen haben? Ich blickte mich um, von Bernd war noch nichts zu sehen. Geistesabwesend registrierte ich wie eine junge Dame mir einen in Folie eingehüllten Weckmann um den Hals hängte. Völlig entkräftet fingerte ich mein iPhone aus der Tasche und suchte meine Startnummer in der Ergebnisliste. Die Nettozielzeit betrug 59:54. Ich hatte es geschafft. Schulbuchmäßig hatte ich die zweite Rennhälfte schneller zurück gelegt als die erste. Das war mir bis dato noch in keinem Rennen gelungen. Ein zartes Lächeln breitete sich zu einem arroganten Grinsen aus. „Tschakka!“
Trotz falschem Schuhwerk, trotz Pferdehaufen-Hindernisslauf und trotz der olfaktorische Nahtoterfahrung war es mir gelungen das Laufjahr 2018 mit einer persönlichen Bestleistung abzuschließen.
Väterlich legte sich eine Hand auf meine Schulter. Bernd hatte die Strecke in 1:03:05 gemeistert. Wir klatschten ab! Was für ein toller Lauf! Was für ein tolles Laufjahr! Wie es sich für Silvester gehört stießen wir auf unseren Erfolg mit einem Gläschen Sekt an und schmiedeten Pläne für’s neue Laufjahr! 2019 kann kommen, wir sind bereit.




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RheinEnergie Halbmarathon Köln – nichts für Morgenmuffel

Gehörst du zur Menschengattung Morgenmuffel? Dann höre auf meinen Rat. Der RheinEnergie Halbmarathon ist nichts für dich!


Zur nächtlichen Schnarchzeit um 4:00 Uhr morgens rief mein niemals müder Kasernenwecker zum Morgenapell und peitschte mich aus dem Bett. Anziehen, eine Kleinigkeit frühstücken, Kolonmassage, Stuhlgang Fehlanzeige, die Tasche ins Auto und dann ab auf die Autobahn Richtung Colonia Claudia Ara Agrippinensium. 

Alles minutiös getaktet wie beim Bund. 5:30 Uhr Sonntagmorgen und ich war gestresst wie ein hypernervöser Kellner auf dem Oktoberfest. 6:35 Uhr erreichte ich den P+R Parkplatz Köln-Weiden. Es war dunkel und kalt. Bibbernd wartete bereits eine Handvoll schlaftrunkener Läufer auf dem Bahnsteig. Es herrschte fokussierte Stille.

7:10 Uhr Ankunft am Bahnhof Köln-Deutz. Mein Darmtrakt war nun auch aufgewacht und wollte abliefern. Die kilometerlange Schlange vor der Bahnhofstoilette überzeigte meinen Sphinkter das Tor weiter geschlossen zu halten. Also erst einmal raus und den Kleiderbeutel abgeben.

In einer Nebenstraße entdeckte ich eine Reihe Dixi-Klos. Es war dunkel, der Boden klebte und die Hütte roch bestialisch. Lamentieren half nicht. Handylampe in der einen Hand, die Jacke über den Arm geworfen, den Rucksack in der anderen Hand und bloß nicht hinsetzen. Meine Oberschenkel zitterten. Laufpapst Dr. Matthias Marquardt hätte seine helle Freude an meiner schulbuchmäßigen tiefen Hocke gehabt. Draußen mahnte die darmaktive Läuferschaft zur Eile. Ich erhöhte den Druck. Es passierte nichts. Verdammt. Unverrichteter Dinge schlich ich unter viszeralen Schmerzen in meinen Startblock. Block Lila - der Letzte. Eine Ansammlung von abenteuerlichen Wahnsinnigen in Karnevalskostümen, frustriert und übergewichtigen Vierzigern in der Midlifecrisis und ambitionslosen Hobby-Läufern für die der Olympische Gedanke „Dabei sein ist alles“ galt.


Punkt 8:30 Uhr fiel der Startschuss. Für Block Rot. Ich überbrückte die Wartezeit mit Atemübungen gegen mein Darmrumoren. Sechs weitere Blöcke und zwanzig Minuten später war es dann auch für mich soweit. Im Gänsemarsch ging es über die Startlinie. Panisch hielt ich nach einem Pacer Ausschau. Der drahtige ältere Herr mit militantem Stoppelhaarschnitt oder die Unterfett arme Marathon-Mutti mit 80er Jahre Schirmmütze? Beide garantiert zu schnell. Schön langsam das Rennen angehen. Geplant war nicht schneller als mit einer 7ner Pace los zu laufen.
Plötzlich ging die rote Japanische Sonne in Köln-Deutz auf. Sie war klein, dürr mit violetter Origami-Schleife im Haar. Eine Mischung aus Yoko Ono und Akie Abe und würde sicherlich meine Pace laufen. Also dran bleiben. Yoko Abe entpuppte sich aber schon hinter der ersten Kurve als Mulan und wieselte sich in Schlangenlinien zwischen schleichende Lauf-Blockaden, die selbst Speedy-Gonzales gestoppt hätten. Dran bleiben war unmöglich. Ich kam an der Viererabwehrkette des LC Lauffaul nicht vorbei. Die violette Origami-Schleife wurde kleiner und kleiner und verschwand auf der Deutzer Brücke gänzlich von meinem Radar. Ein neuer Pacer war nicht in Sicht. Meine Uhr mahnte schneller zu laufen. Ich lief in einer Horde Fußkranker Entschleuniger mit einer herzfreundlichen 8er Pace über den Rhein.



Linksrheinisch ging es durch die Innenstadt Richtung Sülz. Ich kämpfte mich am Seitenrand an  tiefenentspannte Sonntagsläufer vorbei. Das kostete Kraft. Kein Pacer, kein Rhythmus und kraftzehrender Spießrutenlauf. Kurz hinter dem Zülpicher Platz wurde es dunkel. Der Laufgott ließ den Hass-Läufer Serdar Somuncu vor mir erscheinen. Ob es wirklich Serdar Somuncu gewesen ist, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Immerhin habe ich ihn nur von hinten gesehen. Wenn Serdar Somuncu allerdings den rechten Fuß im hinkendem 45° Grad Winkel zum linken Fuß aufsetzt und dabei die Hüfte verdreht, dann war es der Lauf-Prediger persönlich! Ein Kerl wie ein Baum. Die Titanic wäre an seinen Haken zerschellt. Dankend ruhte ich mich in seinen Windschatten aus und erfreute mich seines belustigenden Laufstiels. Überrascht bemerkte ich, dass der hinkende Riese auf den Punkt eine 7“00 Pace lief. Verblüffend. Er trug noch nicht einmal eine Pulsuhr.  Sofort war klar – hinter ihm würde ich bis zum Ende bleiben. Endlich hatte ich einen Pacer, Rhythmus und Windschatten gefunden. Jetzt war ich richtig im Rennen drin. 

Allerdings nur bis Kilometer zehn. Dann entzweite uns die Verpflegungsstation. Ich schnappte mir einen Becher Wasser, trank zwei Schlucke und wartete im Trippelschritt auf den hinkenden Riesen. Doch Serdar ließ sich Zeit und nahm alles mit was ReWe aufgetischt hatte. Wasser, Iso-Getränk, Banane. Personifizierte Zugmaschine hin oder her, ich musste weiter. „Maach et joot!“, sagt der Kölner.


Zwischen Kilometer zehn und fünfzehn wurden die Abstände zwischen den jecken Laufhorden größer. Ein Pacer ging mir nicht ins Netz. Jedoch die kindliche Ausgabe von Scheherazade. Die kleine indisch aussehende Schülerin trieb mich in den Wahnsinn. Wie vom Geißbock getrieben stürmte sie 200 Meter davon, um dann keuchend die Hände in die Seiten zu stemmen und genau in meiner Lauflinie stehen zu bleiben. Ich kam mir vor wie Bill Murray. Jeden Steinwurf aufs Neue wurde ich von meinem indischen Murmeltier begrüßt. „Lauf doch bitte etwas langsamer, dafür aber kontinuierlicher!“ Wie lang konnte Scheherazade Murmeltier das durchhalten? Zumindest bis Kilometer 16. Dann  nahm das kölsche Bollywood-Rennen ein abruptes Ende.
Mit „Achtung Hintermann“ kündigte sich der orangefarbene Luftballon mit 2:30 Schriftzug an. Fünf Kilometer noch. Ich wollte unbedingt unter 2:30 bleiben und zog das Tempo an. Der Schnitter und mein indisches Murmeltier konnten nicht mithalten. Die Lunge brannte. Die Beine wurden schwerer und schwerer. Ich warf Traubenzucker ein. Die Kohlenhydrate verbrannten wie trockenes Heu im Martinsfeuer. Ich brauchte Nachschub. Ich brauchte neue Energie. Ich brauchte Flügel.

Der rote Bulle meinte es gut mit mir. Einer Fata Morgana gleich erschien der Österreichische Brause-Stand in der Kölner Innenstadt. Die hochkomplexe Geheimrezeptur aus Gummibärchen und Zuckerwatte stürzte meine Speiseröhre hinunter und verstoffwechselte sich ungefiltert in meinen vor dem Burnout stehenden Muskelzellen.

Gevatter 2:30 war außer Sichtweite. Jetzt bloß nicht langsamer werden. Tempo halten. Nur noch drei Kilometer bis zum Ziel. Drei Kilometer, was ist das schon? Normalerweise gerade mal meine Einlaufrunde zum warm werden.

Allerdings sind drei Kilometer auch dreitausend Meter. Ein schleichender Schmerz kroch die Wade hinauf über’s Knie bis in die Hüfte. Erst rechts, dann auch links. Ich hätte das Faszientraining in den letzten drei Wochen nicht stiefmütterlich ignorieren sollen. Jeder Schritt wurde nun zur Qual.
Ich passierte Kilometer Marke 19. Es wurde lauter. Karnevalsmusik ertönte. „Et jitt kei Wood, dat sage künnt, wat ich föhl, wenn ich an Kölle denk! Ohoho!“, tönte es aus hunderten schunkelnder Schaulustiger. Ich versuchte mich von der Stimmung anstecken zu lassen und summte mit. „Ohoho! Wenn ich an ming Heimat denkt!“ Doch ich wurde langsamer. Meine Füße waren schwer wie Blei. Ich konnte den Dom schon sehen, aber es ging nichts mehr. Konfetti ergoss sich über meinen Kopf. Eine kölsche Waldorf-Lehrerin mit Löwenmähne und Strickpulli schrie mich aus nächster Nähe an. „Heeey Holger! Lauf weiter!“ Ich presste links und rechts den Daumen in den Gluteus und ging ein paar Schritte. Ganz Kölle war auf den Beinen, tanzte, sang und feierte. „Do bes en Stadt met Hätz un Siel, hey Kölle, do bes e Jeföhl.“ Verlogen! Wo war das Herz, wo war das Gefühl? Mir ging es beschießen. Der Schmerz in meiner Hüfte explodierte. Ich wollte in den Arm genommen werden. Ich wollte für meinen tapferen Kampf gelobt werden. Stattdessen wurde ich wie ein simulierender Teenager behandelt, der versuchte sich vor dem ungeliebten Schwimm-Unterricht zu drücken. „Es ist nicht mehr weit! Du schaffst das!“ Ich schaffte es eben nicht, denn just in diesem Augenblick flog der Sensemann mit dem kürbisfarbenen 2:30 Luftballon an mir vorbei. Dran bleiben? Unmöglich? Gevatter 2:30 düste wie ein ICE an mir vorbei. Mit schmerzverzerrtem Gesicht blickte ich hinter ihm her, lief zwanzig Meter, blieb stehen, ging ein paar Meter, um einen erneuten verzweifelten Laufversuch scheitern zu lassen. Kilometer Marke 20.



Nun wurden auch Mitläufer nervig, beziehungsweise eine Mitläuferinnen. Mütterlich nahm sie sich meiner an und versuchte mich mitzuziehen. „Komm, bleib dran. Wir haben es gleich geschafft.“ Innerlich rollte ich genervt die Augen und entgegnete gleich abwehrend: „Meine Hüfte macht nicht mehr mit.“ Doch das war für die leicht übergewichtige Mitvierzigerin mit Stirnband keine Entschuldigung. Sie packte mich bestimmend am Arm und zog mich durch die Hohe Straße. Messerstiche rammten sich bei jedem Schritt ins rechte Knie. Meine Hüfte knarrte rechts und links als würde sie durch eine Knochenmühle gedreht.


Der Dom erschien zu meiner Rechten wie eine Halluzination. Nur noch wenige Meter. Ich konnte das Ziel sehen. Der rote Teppich war ausgerollt und urplötzlich wurde es ganz still. Die Musik und Stimmen verstummten. Die Strecke war menschenleer. Der Schmerz war verschwunden und meine Füße rollten wie eine gut geölte Maschinerie über den roten Teppich.




Meine Spezialität! Auch wenn nichts mehr geht, ein Schlussspurt geht immer. Piep. Blitzlicht. Ich war zurück in der schmerzenden Realität. Meine Lunge brannte.




Die Beine verweigerten weitere Schritte. In Plastikfolie verpackt torkelte ich der Medaillenausgabe entgegen. Mit 2:31:20 hatte ich meine Wunschzielzeit nur haarscharf verfehlt. Egal. Geschafft ist geschafft! Das orthopädisch verkrüppelte Läuferknie hatte soeben den dritten Halbmarathon in 2018 erfolgreich gefinisht.




Gierig machte ich den Kalli und stopfte alles in mich hinein, was die ReWe Fressmeile hergab. Alkoholfreies Bier, Cola, eine salzige Suppe, Brezel und Alpro Kokosnussdrink. Et jitt kei Wood, dat sage künnt, wat ich föhl, wenn ich an de kölsche Halbmarathon denk! Ohoho! Wenn ich an deses Rennen denkt“, summte ich unbemerkt als ich mich im Schneckentempo zur Kleiderbeutelausgabe durchkämpfte. Es fühlte sich an, als ob eine Parkkralle meine Oberschenkel in der Hüftpfanne fixierte. Ich brauchte eine halbe Ewigkeit.



Ausgerechnet im letzten Zelt und in entgegengesetzter Richtung zu den Duschen erhielt ich meinen Startbeutel. Ich war patschnass durchgeschwitzt. Auch wenn der Bahnhof verlockend nahe war, ich musste unbedingt duschen. Rückblickend mein persönliches Highlight des RheinEnergie Halbmarathons.
Inmitten eines mit Bauzäunen abgegrenzten Herren- und Damenareals standen 10 Duschkabinen nebeneinander. Offen. Ohne Tür. Lediglich ein spärlicher Vorhang  bewahrte die duschende Läuferschaft vor voyeuristischen Blicken. Obwohl, er tat es eigentlich nicht. Denn vor den Duschen stellten sich die Läufer in Reihen auf und zogen sich pudelnackt mitten auf dem Platz aus. Ich tat es ihnen gleich, legte die wärmende Generali Plastikfolie auf den Boden, den Kleiderbeutel, die Schuhe, und meinen Laufrucksack darauf und pellte mich aus der triefnassen Funktionswäsche. Lediglich mit einem Duschgel in der Hand verdeckte ich den tief zurückgezogenen besten Teil des Läufers, der in diesem Augenblick einer Mopsnase gleich kam. Es war windig, es war kalt und ich stand splitterfasernackt hinter drei weiteren laufbegeisterten Nudisten mitten in Köln vor spartanischen Duschkästen. Nächstes Jahr im Sommer werde ich mich zu einem Nudistenlauf anmelden, dann habe ich mir zumindest das lästige an- und ausziehen erspart.

Eine Stunde später stand ich auf dem Bahnsteig und wartete auf den Zug Richtung Köln-Weiden. Ich fühlte mich frisch, glücklich und stolz. Denn eigentlich hatte ich doch meine Wunschzeit erreicht und war unter 2:30 geblieben. Meine Garmin zeigte 22,3 km an. Durch meinen anfänglichen Spießrutenlaufen, war ich deutlich mehr als 21,1 km gelaufen. Die Halbmarathonmarke passierte ich laut meiner Uhr bereits nach 2 Stunden und 22 Minuten. Happyend oder wie der Kölner sagt: „Et kütt wie et kütt und et hätt noch emmer joot jejange.“

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8. Krefelder Hospizlauf - Charityrun durch den Niederrheinischen Monsun ​

 Der Krefelder Hospizlauf ist ein Sternlauf mit besonderem Charakter. Von zwölf verschiedenen Punkten aus Krefeld, Meerbusch und St. Tönis starten die Teilnehmer auf verschiedensten Streckenlängen (3,1 bis 11,7 km) zu verschiedensten Startzeiten und kommen alle zeitgleich am Zielpunkt, dem Hospiz am Blumenplatz in Krefeld-Zentrum, zusammen.



Schwarze Wolken zogen über Krefeld, als ich mit meiner Laufpartnerin Daniela am Trainingsgelände von Bayer Uerdingen aufschlug. Der Löschenhofweg war grau und trist. Leichter Nieselregen trübte den sonnigen Schein der Guten Sache. 
Nach einem kurzen Aufwärmprogramm, geleitet durch Trainer der Lauf- & Ausdauerschule SC Bayer 05 Uerdingen e.V., ging es ohne Brimborium um 11:04 für die 7ner Pace Gruppe los. Also für Daniela und mich und die Newbies. 

Es war kalt auf den ersten Metern. Daniela und ich setzen uns gleich an die Spitzen und trieben den Bremsläufer vor uns her. Ich kam mir wie Eliud Kipchoge vor. Wenige Meter vor uns ein Ordner in neon-gelber Warnmontur auf dem Mountenbike. Kurz dahinter der Pacemaker. Wortkarg auf das Tempo fokussiert. An seinen Haken Eliud und Mocki. 

Die Strecke führte durch Krefeld-Gartenstadt, an Verberg vorbei in den Stadtwald. Der Regen wurden stärker. Leichter Wind kam auf. Es klaffte eine Lücke zwischen uns und den Newbies, die allerdings im Stadtwald durch eine neue Laufgruppe, die sich für eine kürzere Distanz entschieden hatten, geschlossen wurde. Pussies! 

Daniela und ich schenkten ihnen keine Aufmerksamkeit und trieben den Hasen weiter vor uns her. Der Weg wurde matschiger. Es wurde ein Serpentinenlauf zwischen Pfützen, abgebrochenen Ästen und Hundekot. Uns gefiel's! Das Wasser spitze. Von Oben und Unten. Bei welchem Sport darf man heutzutage noch so intensiv die Naturgewalten erfahren wie beim Laufen? Bei der EMS-Lomi Lomi Massage, dem vegetarischen Klangschalen-Yoga oder dem Brandenburgischen Nudisten-Zumba jedenfalls nicht. 

Eine Schlange von Läufern zog sich durch Krefeld. Alle hintereinander, durch den Niederrheinischen Monsun bis in die Mitte der Stadt. Ein Spektakel das Zuschauer verdient hätte. Leider verstecken sich die in Wattebäuche gepackten Zucker-Couchpotatos hinter der häuslichen Mattscheibe. Krefeld glich einer Geisterstadt regiert von einer Horde pitschnasser Zombiläufer. Aber halt! Ganz alleine waren wir Läufer doch nicht. Im Stadtgarten stolperten wir in die Walker-Gruppe hinein. Bewaffnet mit ihren vibrationsgedämpften Hightech-Carbon-Stöcken hielten sie uns Läufer auf Abstand. 

An der Ampel über die Sankt-Anton Straße staute sich der Tross aus Niederrheinischen Regenläufern und in atmungsaktiver Allwetter-Outdoor-Funktionskleidung verpackten Hospiz-Walker. Gemeinsam, ging es danach Carbon-Stock an stahlharter Läuferwade über die Jägerstraße ins Ziel. Mocki zuerst. Danach die Walker und schlussendlich der ausgebremste Eliud. 

Was macht man als Erstes, wenn man klitschnass bis auf die Unterhose nach zehn Kilometern durchs Ziel läuft? 
Unterschlupf suchen? Abtrocknen? Einen warmen Tee trinken? 
Das würden die in Wattebäuche gepackten Zucker-Couchpotatos sicherlich tun, aber nicht wir durch Wind und Wetter gestählten Hobby-Läufer. 
Mit einem kühlen, isotonischen Bier reihten Daniela und ich uns direkt in die Schlange vor einem kleinen weißen Party-Zelt ein, um das Finisher-Shirt abzugreifen. Regentropfen trommelten auf unsere Schädeldecke und liefen über Rücken und Bauch, die Beine hinunter in die Schuhe. Ein kalter Orkan schleuderte uns eine Arme von Niederrheinischen Erkältungs-Viren um die Ohren. Aber wir blieben standhaft. 
Nach zwanzig Minuten war es dann endlich soweit. Freudestrahlend aber völlig durchnässt und ausgekühlt hielten wir das Hospiz-Shirt in die Höhe.

Jetzt wo ich drüber nachdenke... eine innovative Idee Neukunden zu generieren. 

In diesem Sinne, bleibt Gesund! ​

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Santander Halbmarathon - Let's dance in Mönchengladbach



Der Marathon durch Mönchengladbach bzw. der Halbmarathon für den ich mich angemeldet hatte, wird auch der DJ Marathon oder der Musik-Lauf genannt. Auf dem  10,5km langen Rundkurs durch die Mönchengladbacher Innenstadt, wird man auf eine musikalische Zeitreise mitgenommen. Daher hatte ich meine quietsch-orangen Tanzschuhe angezogen und freute mich darauf, eine flotte Sohle auf den Mönchengladbacher Tanzasphalt hinzulegen.


Backstage am Santander-Platz lernte ich Dennis alias D3nitz und seinen Halbmarathon Tanzpartner kennengelernt. Beide waren top motiviert den Halbmarathon zu finishen und nicht vor den Anstiegen oder der Schwüle aufzustecken. Das war mir sehr sympathisch und ich liebäugelte mit dem Gedanken mich einfach dran zu hängen.


Dann kam jedoch alles ganz anders. Punkt 11:15 Uhr startete der Halbmarathon auf der Karmannsstraße.
Auf der Startgeraden traf ich Yavuz alias run.koelner1979 der spontan seine Tanzschuhe angezogen hatte und wie ich solo unterwegs war. Das Schicksal hatte uns zusammen geführt und so beschlossen wir wenige Meter hinter der Startlinie zusammen durch die Gladbacher Innenstadt zu tanzen und eine richtig flotte Sohle auf’s Parket zu legen.


Naja… flotte Sohle für meine Verhältnisse. Mit einer Pace von 6“20 bis 6“30 schwoften wir in Richtung Mönchengladbach Venn. Yavuz führte. Manchmal gab er den Joachim Llambi und peitschte mich an schneller zu laufen, meistens gab er den Jorge González, munterte mich auf und machte seine Späßchen mit den Ordnern und Zuschauern. Es lief verdammt gut. Ich fühlte mich gut.
Auch die Anstiege waren kein Problem. Yavuz zeigte mir eine spezielle Atemtechnik, um verbrauchte Restluft aus der Lunge zu pressen und mit neuer sauerstoffreicher Luft zu füllen.  Wir flogen an den anderen Tanzpaaren vorbei. Keiner konnte uns das Wasser reichen.

An der alten Ulme war der erste Quickspot. Dort dröhnte Musik aus den 80er und 90er Jahre aus der Beschallungsanlage. Die Menge jubelte. Einige Läufer rissen die Arme hoch und wippten zum Beat. Die Stimmung war gut.
Der zweite Musik-Spot lag am Minto. Hier legte ein DJ Musik aus den 90er und 2000er Jahre auf. Leider wurde hier bei unserem Durchmarsch nicht die Toten Hosen gespielt, sondern hier war tote Hose. Der alte Markt, die Hindenburgstraße und die Bismarckstraße glichen am Sonntagmittag einer Geisterstadt. Es war gar nichts los!
Im Gründerzeitviertel wartete auf dem Schillerplatz der dritte Quickspot. Hier legte ein DJ Musik aus den 50er und 60er Jahre auf.
Mit etwas Wohlwollen kann man sagen, dass hier etwas mehr Trubel als auf einer drittklassigen Kuhdorf Kirmes herrschte. Es war zu spüren, dass der Rhein-Ruhr Marathon in Duisburg und das Schützenfest der Bruderschaft St. Sebastianus und St. Vitus Obergeburth Waldhausen Zuschauer absaugten.
Yavuz und mich störte es aber nicht. Wir tanzten unseren Stiefel herunter.
  

Die erste Runde verging wie im Flug. Mit 1:10:24 flogen wir über die Startlinie. Wir tanzen ganz großes Running. Wir zelebrierten den Paso Doble. Leider stellten wir fest, dass uns jedoch keiner zusehen wollte. Wo vor einer Stunde noch der Tanzbär tobte war jetzt gähnende Leere. Der Santander-Platz war leergefegt wie die Wüste Gobi. Lediglich noch ein paar verwaiste Ordner feuerten uns energielos an. Egal – wir tanzten weiter bis die Füße bluteten.
Es ging ein zweites Mal raus nach Mönchengladbach Venn. Mein Puls stieg. Ich pustete, kämpfte und biss mich Meter für Meter in Richtung Wasserturm. Mein Laufstiel entwickelte sich zu einem Veitstanz. Yavuz’s nahm nun vollends die Gestalt von Joachim Llambi an. Er ballte die Fäuste, er fluchte, er schimpfte, er peitschte mich Meter für Meter weiter. Die Musik wurde leiser. Yavuz’s Stimme wurde dumpfer. Die Gänsehaut auf meinen Armen wuchs zu einer Luftpolsterfolie heran. Die Schweißtropfen auf meiner Kopfhaut brodelten. Ich vernahm nur noch den Beat meiner Schläfen. 180 Puls! Ich war kurz vor dem Knockout. Dankend nahm ich jeden Rasensprenger mit und torkelte vor jede Super Soaker.


Vor dem Comet-Cine-Center kam er dann. Nicht unerwartet, aber trotzdem aus dem Hinterhallt. Der Hammermann sprang auf die Tanzfläche und knockte mich aus. Es ging nichts mehr. Ich gab meinem Tanzpartner ein Zeichen alleine weiter zu laufen. Ich konnte nicht mehr, ich wollte nicht mehr.
Der Stecker war gezogen, die Jukebox verstummt. Elvis has left the building!
Die anspruchsvolle Strecke durch Mönchengladbach ist eben keine Tanz-Wander-Reise unter der Führung von Prof. Dr. Siegfried Macht, sondern ein Höllentanz den Nanga Parbat rauf.
So hart wie der Llambi sein konnte, so menschlich konnte er aber auch sein. Yavuz machte mir sofort klar, dass er mich nicht allein zurück lassen würde.
Und so gingen wir das Stück bis zur Hindenburgstraße. Er munterte mich weiter auf. Er ließ die bis dato großartige Performance Revue passieren und gab mir Mut die letzten paar Kilometer noch durchzuhalten. Langsam trabten wir die Hindenburgstraße runter. Mit Lambada hatte es nichts zu tun. Es war noch nicht mal mehr ein langsamer Walzer. Aber wir bewegten uns vorwärts.


Zieleinlauf war nach 2:35:01 am Geroensplatz – dem Hotspot des Santander Halbmarathons.
Glücklich aber völlig fertig fiel ich dem Kölner in die Arme. Es war geschafft. Auf Ex leerte ich zwei große Becher Bitburger 0,0% und pfiff mir einen Kinder Schokoriegel rein. Der beste Schokoriegel meines Lebens. Noch nie schmeckte Kinderschokolade so gut.


Fazit: Bis zur Kilometermarke 15 lief alles nach Plan. Dann musste ich der Hitze und den Anstiegen Tribut zollen und langsamer machen. Dank der Hilfe von Yavuz habe ich mit 2:35:01 meinen zweiten Halbmarathon gefinished.
Dem viralen Shitstorm gegen den Santander Marathon möchte ich mich bewusst nicht anschließen. Sicherlich ist es unglücklich eine Konkurrenzveranstaltung zum Rhein-Ruhr Marathon auf die Beine zu stellen und sicherlich waren nicht viele Zuschauer vor Ort und die Stimmung größtenteils unterirdisch, aber die Organisation habe ich als sehr professionell empfunden. Es waren genügend Verpflegungsstationen vorhanden und die Qualität der gereichten Getränke und Lebensmittel hervorragend. Ganz vielen lieben Dank an die wenigen, aber äußerst hilfsbereiten Mönchengladbacher Zuschauer, für die privat aufgestellten Rasensprenger, für die privat gereichten Getränke und vielen Dank an dem Mann der mir diesen riesen großen Eiswürfel gereicht hatte.

Abschließend möchte ich noch einen emotionalen Moment teilen, der mich sehr nachdenklich gestimmt hatte. In Richtung Mönchengladbach Venn saß am Seitenrand ein älterer Mann mit Sauerstoff-Nasenbrille im Rollstuhl. Er war krank und sah sehr schwach aus. Aber als Yavuz und ich an ihm vorbei liefen strecke er die Faust hoch und ich konnte ein Funkeln in seinen Augen sehen. Ein Funkeln, welches mir verriet, dass er uns Kraft geben wollte, dass er Freude empfand uns Jungspurte anzufeuern und das es ihm wichtig war. Vielleicht hatte er früher in jungen Jahren selbst an Volksläufen teilgenommen. Dieser Moment berührte mich und führte mir vor Augen, wie dankbar ich sein sollte, zwei gesunde Beine zu haben und laufen zu können. Nichts was wir Tag für Tag als normal empfinden, ist selbstverständlich. Aber alles ist vergänglich.

Passt auf Euch auf!
Euer Läuferknie.


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Apfelblütenlauf 2018 - Angriff der Nudelschrecken

Aller guten Dinge sind drei! So war es auch dieses Jahr mit dem Apfelblütenlauf in Tönisvorst. Zwei Mal war ich bereits für den Lauf angemeldet und musste in den Vorjahren immer krankheits- oder verletzungsbedingt absagen. 2018 war ich aber endlich dabei!

Der Apfelblütenlauf begann für mich und Seba bereits am Vorabend auf der Pasta-Party. Nachdem wir uns die Startnummern abgeholt hatten, machten wir jedoch einen folgeschweren Fehler! Wir gingen nicht gleich zur Nudelparty, sondern entschlossen uns zuerst das Starterbag ins Auto zubringen und noch eine Kugel Eis in der Innenstadt zu essen. Mit einer Stunde Verspätung trudelten wir zur Pasta-Party ein und mussten feststellen, dass die anderen Läufer wie Heuschrecken übers Buffet hergefallen waren und bereits alles verputzt hatten. Hungrig kratzen wir die letzten angebackenen Nudelspezialitäten aus den Chafing Dishs und setzten uns draußen zwischen die Nudel-Heuschrecken auf die Bierzeltgarnitur.
Neue Freundschaften schlossen wir mit den laufenden Pastaschrecken nicht mehr, was weniger an den gefräßigen Mitläufern lag, als vielmehr daran, dass bereits kurze Zeit nachdem wir Platz genommen hatten, die Bänke und Tische schon wieder abgebaut wurden.


Große Freude dann aber am Folgetag! Ich hatte mich im Schlaf nicht mehr verletzt und war auch mit dem richtigen Bein aufgestanden. Zudem herrschte schönstes Apfelblütenwetter und am Info-Point bekamen Seba und ich zur Entschädigung für die leeren Nudeltröge am Vorabend Verzehr-Gutscheine ausgehändigt.


Somit ging es wohl gestärkt an den Start des 5km Laufes. Wir reihten uns in den grünen Startbock ein. Vor uns die Pasta-Heuschrecken mit einer erwarteten Endzeit von unter 30 Minuten. Hinter uns der Schulblock. Neben uns die Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr Tönisvorst in 15kg schwerer, hitzebeständiger Kampfmontur.


 

Punkt 13:00 Uhr fiel der Startschuss und 737 nudelgesättigte Laufschrecken knubbelten sich auf einer zwei Meter breiten Straße durch die Huverheide. Seba und ich sprangen nach rechts, nach links, tankten uns durch die Mitte, kurzer Blick zurück, war der Laufpartner noch da? Es war ein Hauen und Stechen. Vermutlich ging es auch so am Vorabend nur wenige Sekunden nach dem Nudelstartschuss vor den Buffetschalen her.
Essentiell bewies sich in dieser Phase der Schulterblick. Ohne Schulterblick rechts oder links auszuscheren würde unweigerlich in eine Massenkarambolage enden.
Beispielhaft demonstrierte dies einer der hitzebeständigen Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr, der sich wie ein Bulldozer rechts an den Rand zu einer Passantin durchwälzte und mehrere von rechts heran flitzende Nudelschrecken auf seine 15kg schwere Atemflasche auflaufen lies.

Ungefähr auf Höhe Fruhenfeld musste sich Seba bereits dem kräftezehrenden Slalomlauf geschlagen geben und abreißen lassen. Ich guckte mich mehrmals um, sah in sein hoch rotes Gesicht und hob fragend den Daumen. Lauf weiter!, schnaufte er. Lass mich zurück. Zeig es diesen hüftbreiten Nudelschrecken!
Dies war mir Motivation genug. Ich würde es diesen gefräßigen Pastamonstern schon zeigen und Seba und mich durch massenhafte Überholungen rächen.

Gedacht, getan! Es lief gut. Die Hüfte schmerze nicht, der Fuß pochte nicht, keine Muskelkrämpfe – lediglich die Birne brummte aufgrund der Hitze. Laut meiner Garmin bewegte ich mein Läuferknie bei max. 32°C durch die wunderschön blühende, aber absolut schattenfreie Apfelplantage.

Zwischen dem Heierhof und Reckenhuppert wurde der zum Hindernislauf mutierte Apfelblütenlauf um eine Herausforderung reicher. Ich bekam meinen eigenen, androgynen Bremsklotz mit Pferdeschwanz. Es hätte ein Mitglied der Kelly Family sein können. Aber nicht Joey, eher Paddy! Es hätte aber auch eine vegane Öko-Kampflesbe vom Nachbarbauernhof sein können. Immer wieder blieb es ohne Vorankündigung links, rechts oder mittig auf der schmalen Straße stehen. Prinzipiell aber immer genau in meiner Lauflinie. Es schnaufte, pustete, stemmte die Hände auf die dürren Hüften und spurtete dann wieder los, als wäre die nudelgefräßige Apfelkönigin hinter ihm her. Zerr dir die Wade und fall in die Apfelplantage! Mehrmals streifte ich beim Überholmanöver seinen Arm und spürte seinen mit Quinoa, Couscous und Knoblauch belasteten Atem. Formel Eins im Heierfeld. Sebastian Vettel gegen Lewis Hamilton. Das Läuferknie gegen Paddy Kelly. Kurz vor der Penningshütt war das Privatduell entschieden. Paddy gingen die Pasta-Kohlenhydrate aus und blieb mit hoch rotem Kopf und Konditionsschaden auf der Strecke stehen.

Zurück in der Huverheide lief es aber auch bei mir nicht mehr rund. Die rechte Kniescheibe meldete sich. Kilometer Marke vier. Ich musste blitzschnell eine Entscheidung treffen. Die Schritte vergrößern und versuchen die Schmerzen raus zu laufen oder lieber ein paar Gänge runter schalten, gehen und keine Verletzung riskieren? Die Entscheidung fiel mir nicht schwer. Ich konnte das Ziel fast riechen. Also einen Gang hoch und Vollgas. Mein Kessel dampfte, ich bekam Ohrensausen, eine Gänsehaut zog sich über den ganzen Körper.
Letzte Kurve. Mein Magen rebellierte, mir wurde übel, aber das Knie hielt. Ich konnte die Ziellinie sehen. Ich setzte zum Endspurt an und flog an den letzten laufenden  Nudelschrecken vorbei. Blitzlichtgewitter. Von Fern warf mir die Apfelblütenkönigin einen anerkennenden Blick zu. Es war geschafft. Jahresbestleistung! 29 Minuten und 37 Sekunden, trotz widriger Umstände. Ich war glücklich. Was für ein toller Lauf! Super schöne Strecke. Geiles Wetter, tolle Mitläufer, alles in allem ein Mega-Event. Gerne komme ich wieder.

Hinter dem Ziel schnappte ich mir eine Apfelschorle die verdächtig nach isotonischem Bier schmeckte und stolperte schweißgebadet Daniela von Bayer Uerdingen in die Arme, die gerade auf dem Weg in die Startbox für den 10km Lauf war. Anstelle mich herzlich zu drücken und meiner Leistung entsprechend einen Freudentanz aufzuführen, stieß sie mich wie ein kontaminiertes Nacktmull weg. Lag es an meiner isotonischen Bierfahne oder an meinem schweißgetränkten Funktionsshirt, in dem schon Fäulnisbakterien Zersetzungs- und Verwesungsprozesse eingeläutet hatten? Eine Antwort blieb sie mir schuldig.

Fünf Minuten später blitze auch Seba durchs Ziel. Er musste der Gluthitze Tribut zollen, blieb aber schlussendlich noch 27 Sekunden unter seiner Zeit vom Venloop.

Mit Hilfe der Verzehr-Gutscheine schlossen wir anschließend mit den Nudel-Heuschrecken unseren Frieden und verließen glücklich und satt den Apfelblütenlauf 2018.


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Volksfest Venloop – Eine ganze Stadt auf den Beinen! 

  

Was für Köln der Straßenkarneval ist, ist für Venlo der Venloop. Der Hype und das Tantam um den Venloop haben in Läuferkreisen schon fanatisch religiöse Ausmaße angenommen. Alles übertrieben? Nein, ganz im Gegenteil. Von der Stimmung, den Menschenmassen am Straßenrand, der Musik, der Dekoration in den Straßen in Kombination mit dem lockeren Niederländischen Way of Life, ist er der vermutlich geilste Halbmarathon Europas. 

Schon um 7 Uhr morgens bellte mich mein Wecker aus dem Bett. Oder vielmehr 6 Uhr, denn schließlich hatte mir diese unnütze Sommerzeit pünktlich zur größten sportlichen Herausforderung meines Lebens eine Stunde geklaut. Zur Auflockerung der Muskulatur ging es erst einmal in die heiße Badewanne. Na ja... sagen wir mal in die lauwarme Wanne. Die Heizung hatte auch noch ihre Herausforderung mit der Zeitumstellung. Danach habe ich mir noch schnell ein Toast reingepfiffen, einen Grünkohlsaft getrunken und die Tasche ins Auto gebracht.



Pünktlich um 9 Uhr klingelte es an der Tür. Mein Laufkollege Sebastian war zusammen mit seinem Venloop jungfräulichen Bekannten Thomas angereist. Beide wollten den 5km Lauf zusammen rocken und ich hatte mich als alter Venloop-Hase angeboten, ihnen die Schleichwege zum Stadion zu zeigen und sie bis an den Start zu begleiten. Stilecht ging es im Partybus vom Seacon Stadion de Koel runter in die Stadt zum größten Partylauf Europas. An dieser Stelle ein Beispiel für den Niederländischen Humor. Schild im Partybus: Kotzen 50,- EUR (in Tüte gratis).

Wie jedes Jahr war unser Venloop Hauptquartier wieder das Hotel Puur. Es ist schon eine lange Tradition, dass mein Arbeitgeber Office Depot / Viking für die Belegschaft einen Aufenthaltsraum und zwei Zimmer zum Umziehen und Duschen reserviert. Auch Freunde und Bekannte waren, wie auch in all den Jahren zuvor, willkommen gewesen und so kamen auch Sebastian und Thomas in den Genuss sich stressfrei vor dem Lauf umziehen zu können.

Nachdem ich die Beiden zum Start gebracht hatte, ging ich zurück ins Hotel und legte mich noch ein wenig hin.
Gegen Mittag trudelte dann mein Arbeits- und Laufkollege und Leidensgenosse Alwin aka Zahnfleischläufer im Hotel ein.
Wir hatten uns in den letzten Wochen einen harten Battle um die schlimmsten Laufverletzungen geliefert und ich bildete mir ein, dass ich mit dem ISG-Syndrom ganz klar nach Punkten vor ihm lag, aber er wurde nicht müde wehleidig seine Leistenbeschwerden hervorzuheben und so einigten wir uns im Vorfeld darauf, dass wir beide die größten Laufkrüppel vor dem Herren seien und alles andere als ein DNF einem Wunder gleich kommen würde.

Einem Wunder gleich kam, dass ich Daniela und Bernd, meine neuen Lauffreunde vom Nettetaler Winterlauf, noch vor dem Start traf. Ich hatte die Beiden ins Hotel Puur eingeladen, aber es stellte sich für Daniela und Bernd als unlösbare Aufgabe ihren Weg durchs Partygetümmel Richtung Hotel zu finden. Und so trafen wir uns gefühlte 50 What’s App Nachrichten später am Ewals Cargo Pavillon im Epizentrum des Lauf-Party-Gedränges.
Daniela und Bernd waren noch in Begleitung eines weiteren Bernds und einer Nicole. Zusammen mit Alwin stand somit die Lauf-Crew für das Projekt „Venloop 2018 unter 2:30“.


Kurz vor dem Start herrschte Kaiserwetter in Venlo. Strahlend blauer Himmel und die Sonne presste ihre Frühlingsstrahlen aus allen thermonuklearen Poren. Wir reihten uns ganz hinten in den Startblock >2:15 ein. Hinter uns standen nur noch eine Handvoll „normale“ Läufer, drei Läufer in Herzkostümen, ein Wikinger und zwei Läufer auf Langlaufski die im Takt zum Beat der Musik einen Höllenlärm auf dem Asphalt veranstalteten.



Der Adrenalinspiegel stieg. Ich zog den Herzfrequenzgurt gekonnt, wie Frauen ihren Sport-BH zurecht ziehen, hoch. Die hautenge Tight und das super schnittige Funktionsshirt fühlten sich gut an. Ich fühlte mich gut. Ein Jahr hatte ich jetzt auf diesen Lauf gewartet. Endlich war es soweit. Ready to run. Wippend im Takt zu ’Move your Feet’ schoben wir uns Zentimeter für Zentimeter in Richtung Startlinie. Wir vereinbarten eine Pace um 6“50 und so lange wie möglich zusammen zu bleiben. So war jedenfalls die Theorie. Die Gefahr bestand natürlich, dass man angefixt durch die Stimmung und den Beat adrenalingeschwängert viel zu schnell los lief, aber wir waren ja alle keine Laufanfänger mehr und uns dieser Gefahr bewusst. Trotzdem kommt es dann immer wieder anders als geplant. Im Kreisverkehr vor der Startlinie sah ich Bernd noch überschwänglich mit einem Einpeitscher, der übrigens gekleidet wie ein Bankangestellter der ABN AMRO war, abklatschen und wie er dann mit dem anderen Bernd auf und davon stürmte. Ich vermute, dass die Beiden im Publikum Kapitän Bernard Fokke oder sogar Davy Jones gesehen haben mussten und aus panischer Angst vor der Flying Dutchman die erst beste Gelegenheit ergriffen hatten auf die Black Pearl aufzuspringen und unter vollen Segeln davon zu brausen. Was für Schisser!
Somit waren es nur noch Vier. Alwin, Daniela, Nicole und ich genossen die überschwängliche Stimmung in der Innenstadt. Das Publikum grölte, schrie unsere Namen, klatsche ab. High five – wir waren auf dem ersten Kilometer schon im Runners High. Wozu dann eigentlich noch die restlichen 20 Kilometer laufen?
Die Frage traute sich jedoch keiner auszusprechen. Stattdessen warf der Zahnfleischläufer noch vor der ersten Unterführung an der Maasbrücke die Frage nach der nächsten Toilette in die Runde.
Oh je... eine Pinkelpause würde die Gruppe noch weiter dezimieren. Und was sollte ich machen? Solidarisch sein und warten oder mit den Frauen weiterlaufen?
Am Ende der Emmastraat machte der Zahnfleischläufer dann Ernst und scherte in die Büsche aus. Warten oder weiterlaufen? Immerhin war Alwin mein engster Laufkumpane und wir hatten uns jetzt ein Jahr zusammen auf den Venloop vorbereitet. Auf der anderen Seite hatte ich als letzter Mann in der Gruppe natürlich eine gewisse Fürsorgepflicht den Frauen gegenüber und ganz im Geheimen war mir bewusst, dass ich den Pinkelrückstand nie wieder aufholen würde.
Zum Glück trafen meine Beine die Entscheidung für mich, die absolut nicht willig waren stehen zu bleiben und ich verabschiedete Alwin mit einem kurzen: „Bis gleich!“.
Wenige Meter später zweifelte ich aber schon, ob es eine gute Idee war in der Frauengruppe zu bleiben. Flankiert von Daniela und Nicole zu meiner Rechten wurde ich von zwei anderen deutschen Läuferinnen zu meiner Linken in die Mangel genommen. „Das ist so was von unfair, dass die Männer hier einfach pinkeln können... wir Frauen sind auch bei allem benachteiligt... das ist eine Ordnungswidrigkeit!“ Die Damen kamen vom Höcksken auf’s Stöcksken und schaukelten sich gegenseitig bis zum Kinderkriegen hoch. Sicherlich, durch die menschliche Anatomie bestimmt, legen Frauen beim Wasserlassen gewiss keine Bestzeit in der Boxengasse hin, aber wo ein Busch ist, ist ...
Ich schweife ab, kommen wir zurück zum Lauf.
Die Strecke führte am College Den Hulster vorbei und über den Hagerhofweg und den Natteweg bis zur A73. Diesen Streckenabschnitt kannte ich schon vom berden Voorjaarsloop und hatte ihn gähnend langweilig in Erinnerung. Beim Venloop war aber alles anders. Lückenlos herrschte rechts und links eine ausgelassene Party-Stimmung am Wegesrand. Am Ende des Nattewegs zwischen Kilometer fünf und sechs war die erste Wasserstation. Ich versuchte einen Plastikbecher mit Isogetränk zu ergreifen und schüttete mir die klebrige Suppe über Hand und Ärmel. Daniela zügelte mich sogleich. „Gehen, nicht ganz austrinken und dann weiter!“ Das war ein guter Rat. Wir waren zu diesem Zeitpunkt 34 Minuten unterwegs und zu unserer großen Überraschung längst nicht mehr die letzten Läufer im Feld. Nach einer kurzen Trinkpause ging es weiter, unter die A73 über die Geldersebaan Richtung Tegelen. Daniela’s Schulter meldetet sich nun. Sie hatte schon seit Wochen starke Schmerzen, nahm Medikamente und rannte von einem Arzt zum nächsten. Sie war jedoch hart im nehmen und schüttelte fürsorglich gemeinte Nachfragen burschikos ab. Nicole machte derweil unsere Pace von ca. 6“50 zu schaffen und wollte sich zurückfallen lassen, um mit Alwin zu quatschen. Apropos Alwin, der hatte sich tapfer wieder ran gekämpft. Ich konnte ihn beim kurzen Blick über die Schulter ca. 20 Meter hinter uns erspähen. Respekt!

Bei Kilometermarke Sieben hatten Daniela und ich schließlich all unsere Weggefährten verloren. Jetzt hieß es wieder Tea for Two und ich fühlte mich an den Winterlauf in Nettetal erinnert, den mir Daniela mit ihren Geschichten so schön kurzweilig gestaltete.
Sie erzählte von ihrer Arbeit, ihrem Sohn, ihrer Schulterverletzung und ihrer Ärzte-Odyssee und urplötzlich wie aus dem Nichts, tauchte Mitten in Tegelen der Zahnfleischläufer wieder neben uns auf. Was für eine Energieleistung. Chapeau, mein Freund! Ich hätte den Rückstand nicht wieder aufgeholt. Schade wohl für Nicole, die nun ganz alleine am Ende des Feldes gegen den inneren Schweinehund ankämpfen musste. Aber was heißt schon alleine. Alleine beim Venloop? Das geht gar nicht. Ständig wurde man von Läufern angesprochen und ausnahmslos in Deutsch. Liefen eigentlich auch Niederländer mit? Entweder veranstalteten die Niederländer den Venloop ausschließlich für uns Deutsche oder wir Deutschen sind einfach so viel schlechter als die Niederländer und dümpeln alle zusammen im letzten Drittel des Teilnehmerfeldes rum.



Der Höhepunkt wartete dann in Steyl auf uns. Ich hatte schon von der berühmt berüchtigten Stimmung auf der Maasstraat gehört, aber meine Erwartungen wurden bei weitem übertroffen. Mit Worten ist das schwierig zu beschreiben. Die Maasstraat ist am Tag des Venloops ein Mix aus Karneval, Oktoberfest und Loveparade. Ich musste einfach stehen bleiben und Fotos machen.


 

Unglaublich was die Straßengemeinschaft hier privat auf die Beine stemmt, um uns Läufer ein einmaliges Erlebnis zu bieten. Ich wäre gerne umgekehrt und die Straße mehrmals durchlaufen. Die Leute in Steyl sind einfach bekloppt. Vielen lieben Dank für diesen grandiosen Support! Ich werde diesen Moment in meinem Leben nicht mehr vergessen.

Kurz vor Kilometer 11 gab es wieder eine Wasserstation. Wir machten erneut eine kurze Rast, tranken in Ruhe ein paar Schlucke Wasser und liefen dann weiter auf der Watermunt an der Maas entlang. Es war eine sehr schöne und gewiss nicht günstige Wohngegend. Das Wasser, die Sonne, die Bungalows – ich bekam Urlaubsgefühle und Fernweh. Bei Kilometer 13 ging es den Anstieg zur Zuiderbrug hoch und zum ersten Mal dachte ich daran stehen zu bleiben. Meine Hüfte und die Knie pochten und ich wollte einfach nicht mehr. Zum Glück hatte ich aber Daniela an meiner Seite die konstant das Tempo hielt und gar keinen Spielraum für eine kurze Verschnaufpause zu lies. Stattdessen rechnete sie schon unsere Zwischenzeit hoch und peitschte mich und Alwin weiter an.
Ich musste in die Trickkiste greifen, um nicht zu kollabieren und nahm ein paar Schlucke vom Dextro Energy Liquid Gel in der Geschmackrichtung Cherry und verschluckte mich beinahe, weil ich nicht damit gerechnet hatte, dass das Gel so flüssig sein würde. Und so kamen wir ins Gespräch mit einer älteren Dame mit Hut und Blümchen auf dem Kopf. Ich nenne sie der einfachheithalber Mary Poppins. Mary schloss von hinten zu uns auf und drängte sich zwischen Daniela und mich. Sie berichtete uns ausführlich über ein Gel in der Geschmacksrichtung Tomate, was sie mal auf irgendeiner Marathonmesse aufgegabelt hatte. Alleine schon bei der Vorstellung zogen sich alle Geschmacksrezeptoren bei mir im Mund zusammen. Ich gebe zu, dass ich zu den Leuten gehöre, die tatsächlich schon mal im Flugzeug einen Tomatensaft bestellt haben, obwohl ich nie im Alltag Tomatensaft trinken würde, aber ein Tomaten-Quetschi-Gel für den Marathon? Deutlich eine Spur zu pervers. Dank Mary Poppins verging der Anstieg wie im Flug, denn nach dem Tomaten-Quetschi erzählte sie uns von ihrem Kampf mit einem Haferriegel, der immer mehr und mehr in ihrem Mund aufquoll und sie zum speien zwang. Unglaublich welche Geschichten man während eines Laufes zu hören bekommt. Leider teilte Mary ihre Gesellschaft nicht lange mit uns, denn Mary verfolgte eine Sprint-/Geh-Strategie. Sie lief 500 Meter allen davon und ging dann für ein bis zwei Minuten wieder. Dies passte gar nicht zu unserer konstant langsam laufenden Strategie und so verloren wir Mary alsbald wieder aus den Augen. Oben auf der Zuiderbrug zog Daniela wieder gut an und ging mir fremd. In der Tat! Unsere kurze Läuferbeziehung wurde auf die Probe gestellt. Sie hatte mit einem Niederrheinischen Rennpferd angebandelt und vertieft ins Gespräch mit dem unwahrscheinlich gut aussehenden, groß gewachsenem und in Eigenblut gebadetem Muskelpaket, mich ein wenig aus dem Blick verloren. Ich schnaufte, ich pustete, ich war eifersüchtig und spielte mit dem Gedanken jetzt abreißen zu lassen, als Hidalgo unvermittelt die Hand zum Abschied hob und uns die Fersen zeigte.



Hinter der Brücke zwischen Kilometer 14 und 15 kam ich dann endlich am Getränkestand zu meiner langersehnten Laufpause. Ich merkte Alwin an, dass das Wetter, die Distanz aber auch seine langwierige Erkältung und ja, vielleicht auch seine Leistenprobleme Tribut zollten und er wortkarg und müde wurde. Auf der Baarlosestraat versuchte er noch mit zu halten, aber als es dann in Hout Blerick hügeliger wurde und Daniela das Tempo hielt, verloren wir ihn. Die letzte Wasserstation bei Kilometer 18 ließen Daniela und ich aus. Das war ein Fehler. Vielleicht hätte ich nicht das Wasser gebraucht aber die Mini-Gehpause auf jeden Fall! Es kündigte sich nicht an und kam ganz plötzlich. Ein zusammenziehender Schmerz unter der Fußsohle des rechten Fußes der bis in die Achillessehne stach. „Alles in Ordnung?“, fragte Daniela. Ich hob zu stolz um über mein Wehwehchen zu lamentieren den Daumen. Daniela befand sich im Finalmodus. Die Adleraugen auf die nächsten Laufopfer gerichtet, überrundeten wir Mitläufer für Mitläufer. Sag doch was, raunte eine Stimme in mir. Mein Fuß kribbelte. Krämpfe schossen durch den Mittelfuß in die Achillessehne. Wir liefen jetzt eine 6“19 Pace. Ich setzte mich in ihren Windschatten und kämpfte mich den Eindhovenseweg hoch. Sie griff sich an die scherzende Schulter und lies den Arm hängen. Sie biss und machte weiter Tempo. Jeder Schritt war eine Qual. Ich konnte nicht mehr und ich wollte nicht mehr. Hinter der Maasbrücke passierten wir die 20er Marke. „Ist wirklich alles ok?“ Sei jetzt ehrlich. Ihr wird der schmerzverzerrte Gesichtsausdruck nicht verborgen geblieben sein. Wem wollte ich hier was vor machen? „Ich hab’ einen Krampf im Fuß“, schoss es aus mir raus. So jetzt war es gesagt! Sie blickte über ihre lädierte Schulter. „Oh nein. Es ist doch nur noch ein Kilometer!“ Sie sah mich mit einem fürsorglich, mütterlichen Blick an, den ich gar nicht sehen wollte. Wer war denn jetzt hier der Kerl? Sie lief mit ausgekugelter Schulter, zog, machte das Tempo und ich Mimi jammerte über einen Krampf im Fuß. „Geht schon“, erwiderte ich sogleich, damit sie bloß diesen Blick wieder fallen lies. Mein Fuß krampfte. Die Intervalle der Krampfschübe verkürzten sich. Ich war am Ende. Wir bogen mit einer 6“16er Pace in die Fußgängerzone ein. Ich ganz kurz hinter Daniela in ihrem Windschatten. Die Musik wurde lauter, die Menschen tobten und schrien unsere Namen. Es war fast geschafft. Ich konzentrierte mich auf den Fuß. Bloß nicht die Zehen anziehen. Schön platt mit dem Fuß aufkommen und sauber abrollen. Meine Schritte wurden länger. Ich erhöhte die Frequenz. Schulter an Schulter bogen wir auf die Zielgrade ein.



Ich hatte lange über den Moment des Zieleinlaufes nachgedacht. Würde ich Hand in Hand mit meinem Laufpartner bzw. Partnerin die Ziellinie überqueren? Würden mir Freudentränen in die Augen schießen? Würde ich einen Birddance hinlegen? Es war komisch und sehr ernüchternd. Ich hatte so lange über den Zieleinlauf nachgedacht und als es soweit war herrschte nur Leere in meinem Hirn. Ich war nicht in der Lage zu schreien, zu jubeln oder zu weinen. Ich war einfach nur leer. Wie in Trance stoppte ich die Zeit auf meiner Garmin. 2:26:45 – das Ziel den HM unter 2:30 zu laufen war geschafft. Ich taumelte hinter Daniela der Medaillenausgabe entgegen. Langsam entspannte sich der Fuß wieder. Warum hatte ich mir das bloß angetan? War es all das wert gewesen? Das ganze Training, die vielen Verletzungen und das viele liebe schöne Geld was zum Teil in völlig unnütze Laufaccessoires investiert wurde? Meine Antwort: „AUF JEDEN FALL!“



Erst an den Wasserhähnen konnte ich mit Daniela abklatschen und mich bei ihr bedanken. Ohne sie wäre ich die letzten drei Kilometer gegangen und weit über 2:30 ins Ziel gekommen. Ich kann mich gar nicht oft genug bei ihr bedanken. Was für ein Glück, dass ich sie beim Winterlauf kennengelernt habe. Sie war der perfekte Pacemaker für meinen ersten HB. Ganz großer Respekt, dass sie trotz ihrer Schulterbeschwerden so ein taffes Rennen abgeliefert hat.
An den Wasserhähnen trafen wir auch Bernd wieder. Er hatte auch arg mit Fußproblemen und Wadenkrämpfen zu kämpfen und war letztendlich nur eine Minute vor uns durchs Ziel gelaufen.
Erst im Hotelzimmer traf ich wieder mit dem Zahnfleischläufer zusammen. Er kam mit 2:32 ins Ziel.



Ich habe im Nachhinein gehört, dass mit Stephen Kiprop ein 18-Jähriger Kenianer in neuer Streckenbestzeit von 59:43 gewonnen hat. Na ja... ganz knapp dahinter kamen wir ins Ziel und ich bin mir sicher, dass wir viel mehr vom Lauf hatten. Jeder der 7.924 Finisher ist ein Sieger und alle haben gewiss ihre ganz persönliche Venloop-Geschichte zu erzählen. Meine kennt Ihr nun – hinterlasst mir hier als Kommentar Eure Geschichte.

Beleef je samen! Weir Venloop 2018.



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berden Voorjaarsloop - Chroniken des Leidens

Am Morgen des berden Frühlinglaufes (niederl. Voorjaarsloop) bin ich mit starken Kopfschmerzen aufgewacht, die auch bis zum Lauf nicht weg gingen. Verwunderlich war das aufgrund des plötzlichen Wetterumschwungs aber nicht. Samstag herrschten noch Minustemperaturen und es fiel 20cm Neuschnee. Sonntag war strahlender Sonnenschein und 12°C. 

Da ich meine Laufsachen bereits Samstag raus gelegt hatte, war ich natürlich viel zu warm angezogen. Mehr dazu aber später. 



Die Anreise folgte unproblematisch. Über die A61 ging es über die Grenze, die erste Abfahrt Venlo raus und auf den kostenloses Parkplatz an der Fontys geparkt. In ca. 800m Entfernung war der Start-/Zielbereich am College Den Hulster. Das muss man den Niederländern einfach lassen. Die Organisation der Volksläufe ist immer hoch professionell und so fehlte es uns Läufern im College Den Hulster an nichts. Es gab Toiletten, Umkleide- und ausreichend Aufenthaltsmöglichkeiten, Physiotherapie, Kaffee & Kuchen und jede Menge Musik. 



Ich traf eine alte Lauf-Trainerin die 2009-2010 die Office Depot Fit Gruppe zusammen mit Marko Koers betreut hatte und mit Eric Egas einen Arbeitskollegen. Nach einem kurzen Aufwärmprogram, erfolgte schon der Aufruf sich in die Startblöcke zu begeben und ich stellte ich mich in den Abschnitt 7“00. „Noch eine Minute“, hallte es über die Lautsprecher in die Frühlingsluft. Ich war irritiert. Kein Läufer hinter mir. Kein Läufer neben mir. Vor mir klaffte eine Lücke von gut 10 Metern zu den nächsten Läufern. Also schloss ich auf. 



Die Läufer um mich herum starteten den Lauf mit einer Pace zwischen 6“00 und 6“20. Das war mal eine Ansage und in der Nachbetrachtung viel zu schnell für mich. Aber ich war schon Letzter und wollte nicht gleich auf den ersten Kilometern eine riesige Lücke klaffen lassen. Irgendwann würde sich schon die Spreu vom Weizen trennen und die sich maßlos überschätzenden Mitläufer langsamer werden. Aber Pustekuchen! Zusammen mit Wiel der Ähnlichkeit mit der verstorbenen Hollywood-Legende Peter O'Toole hatte, blieb ich auf den ersten zwei Kilometern durch Süd-Venlo einsames Schlusslicht. 

Als es dann in die Amnesty Internationalstraat ging, gesellte sich mit Mariska und Steph ein Niederländisches Pärchen dazu. Sie blond, groß, hellhäutig und muskulös. So stellte ich mir eine der beiden Töchter von Dolph Lundgren vor. Er südländisch, bärtig und mit Pferdeschwanz. Er hätte der ältere Bruder von Antonio Banderas sein können, weshalb ich ihn im Zwiegespräch mit mir selbst nur „den Spanier“ nannte. 

Es war wie verhext. Konstant hielten meine Weggefährten eine Pace von 6“20. Trotzdem wurde der Abstand zu den anderen Läufern immer größer. Wiel fiel leider schon früh zurück. Stattdessen schlossen wir zu Henry auf. Wie hinter der Entenmutter watschelten Steph und ich im Windschatten hinter Henry her. Mariska lief mal neben uns, dann mal wieder vor uns, machte ein paar Fotos und schunkelte zur Niederländischen Blasmusik. Klaro – 15km sind eben keine konditionelle Herausforderung, wenn der Vater Dolph Lundgren heißt. 



Erst an der Wasserstation auf dem Natteweg überholten wir mit Monika die erste Mitläuferin. Mein Kopf pochte. Die Sonne knallte von oben und mir war viel zu warm. Ich trug das lange X-Bionic Unterhemd, darüber ein dickes Kalenji Langarmshirt und die Gore Laufweste. Zudem eine lange Lauftight, darüber eine kurze Tight und ein Neopren-Laufcap. Die Weste konnte ich noch öffnen, das Laufshirt hatte aber nur einen kurzen 15cm langen Reißverschluss unterm Kinn. Ich hätte am liebsten die Weste ausgezogen und weggeschmissen. Dafür war mir die Weste dann aber doch zu teuer. 

Auf den ersten 3km hatte ich noch starke Schmerzen an der Aussenseite des rechten Fußes. Diese Schmerzen lief ich aber in den neuen saucony Ride 10 raus. Zwischen Kilometer 5 und 10 versuchte ich dann krampfhaft an Henry, Mariska und dem Spanier dran zu bleiben. 

Musik gab es leider nur an wenigen Stellen. Die Strecke war zwischen der Guliksebaan und dem Hulsforthofweg vereinsamt, trisst und öde. Ich vermisste die Laufgesellschaft von Daniela und Bernd, die mir den Winterlauf um den Poelvennsee so schön kurzweilig gestaltet hatten. 

Ab Kilometer 10 bekam ich zudem arge Magenprobleme. Das Multinorm Sport-Gel vermengte sich mit 2 Becher Wasser zu einer toxischen Giftbrühe, die schwer wie Wackersteine in meinem Magen lagen. Mir war übel, ich musste mehrmals aufstoßen, ich hatte mega Dampf auf dem Kessel und mein Kopf drohte zu explodieren. 



Anstelle aber endlich einen Gang zurück zu schalten und sich meiner geplanten 7“00 Pace zu nähern, überholte ich Henry, der zunehmend langsamer wurde. Der Spanier und Mariska zogen mit. Nach ca. 12 Kilometern wählte der Spanier dann den längeren Kurvenweg und so überholte ich ihn ungewollt. Ich überlegte kurz langsamer zu werden und mich zurück in seinem Windschatten fallen zu lassen, aber er kam nicht ran und so lief ich mein eigenes Tempo weiter und schloss zu Jill auf, die ich aber dann schon wieder an der nächsten kleinen Steigung an der Hagerlei hinter mir lies. 

Danach ging es zum zweiten Mal in die elend langweilige Runde um den Sportplatz der Scopias Atlehten. Der Streckenabschnitt war verlassen wie die Wüste Gobi und ich kämpfte einen verbissenen Kampf gegen meinen inneren Schweinehund. Auf der Lemmenstraat schaffte ich noch Loes zu überrunden und dann kam nichts mehr. Dachte ich! 

Um die Ecke A73/Hulsforthofweg tauchte urplötzlich ein junges großes Mädel vor mir auf, die den wunderschönen Namen Elaine unter ihrer Startnummer trug. Elaine war gut und gerne 20 Meter weit weg, doch ich schaffte es in kürzester Zeit ranzulaufen. Mein Plan war auf den letzten Metern in ihrem Windschatten zu bleiben und das Rennen ruhig zu beenden. Doch da hatte sie etwas dagegen. Kaum war ich endlich in ihrem Dunstkreis, schlug sie ein Tempo ein, welches einer Rennschnecke gleich kam. Also lief ich wie in Trance meine Pace weiter und ab an ihr vorbei.



Auf dem letzten Kilometer wurde mir etwas schummrig und schwarz vor Augen. Ich nahm gar nicht mehr wahr, dass ich 20 Meter vor dem Ziel noch mal Fahrt aufnahm und einen weiteren Läufer überrundete. Als 400. Läufer von insgesamt 413 Läufern kam ich dann mit 1 Stunde und 35 Minuten ins Ziel. 



Ich hatte es tatsächlich geschafft. Meine ersten 15km. Aber ich war zu erschöpft um mich zu freuen. Ich schleppte mich zum Auto, klemmte mich wie ein Zombie hinters Steuer und fuhr per Autopilot zurück nach Hause. Nach der heißen Badewanne legte ich mich sofort ins Bett und stand an diesem Tag auch nicht mehr auf. 

Vielen Dank an meine Frau, die beste Ehefrau von allen, die mir zähneknirschend das Abendessen ans Bett brachte und meine Wehleidigkeit tapfer ertrug.

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Zwei neue Lauffreunde und einen blauen Zeh gewonnen.

Dreißig Minuten später als geplant kam ich in Hinsbeck am Poelvennsee an und erhielt gleich die Quittung. Die Straße zum Parkplatz war bereits gesperrt und ich musste in ca. 1km Entfernung am Straßenrand parken.

Vor dem Start traf ich meinen ehemaligen Klassenkammeraden Tobias Winkelmann. Turbo Tobi war topfit und wollte den Lauf, ähnlich wie ich, zur Vorbereitung auf den Venloop nutzen. Der einzige Unterschied war, dass Tobi die 12,5km unter einer Stunde laufen wollte und ich das ambitionierte Ziel verfolgte verletzungsfrei anzukommen.


Mit Stephan Heitzer und Volker Booms waren auch zwei Arbeitskollegen von Office Depot am Start, aber ähnlich wie Tobi peilten Sie Zeiten von deutlich unter einer Stunde an.


Und so sortierte ich mich gleich ganz hinten ein, weil ich mir die Demütigung von der Hälfte der Teilnehmer überholt zu werden, ersparen wollte. 
 

Zusammen mit Nordic Walkern, rüstigen Rentner und Rekonvaleszenten schlich ich über die Startlinie. Das Tempo der Läufer um mich herum passte. Die ersten 500 Meter wurden in einer gemütlichen 700 Pace absolviert.

Und dann passierte, was mir bis dato in einem Volkslauf noch nie passiert war. Ausgelöst durch das Hecheln eines Hundes, fand ich zwei neue Lauffreunde mit denen ich den ganzen Lauf zusammen blieb.

Zwei Läuferinnen mit einem Hund liefen im hinteren Teilnehmerfeld mit. Irritiert durch das Hecheln des Hundes, welches irrtümlich für das Schnaufen eines Läufers gehalten wurde, machte eine Läuferin neben mir einen lustigen Kommentar und sogleich war das Eis gebrochen und wir kamen ins Gespräch.

Die Läuferin hieß Daniela und lief zusammen mit ihrem Laufpartner Bernd. Beide waren von Bayer Uerdingen und hatten vor ungefähr zwei Jahren mit dem Laufen begonnen. Wir stellten jede Menge Gemeinsamkeiten fest und für mich war sofort klar, dass ich mich an den Beiden so lange wie möglich orientieren und mitziehen lassen würde.

Die Strecke von Hombergen bis zur Blauen Lagune war lang, trist und grau, aber äußerst kurzweilig, da Daniela eine aufgeschlossene und unterhaltsame Person war, die jede Menge witzige Kommentare über die Strecke, das Laufen und vor allen Dingen über die anderen Teilnehmer auf Lager hatte.

Ab Hombergen machte Bernd das Tempo und lief konstant ein, zwei Meter vor uns. Ich genoss die Gesellschaft von Daniela und Bernd und vertieft über Fachsimpeleien übers Lauftraining, Laufveranstaltungen, Verletzungen, Laufschuhe und Laufschuhberatung merkte ich gar nicht wie die Kilometer wie im Flug vergingen.

Daniela und Bernd bereiteten sich ebenfalls auf Venloop vor, welcher auch ihr erster Halbmarathon sein würde. Geplant war eine Pace von 700 aber wir liefen ein Tempo zwischen 600 und 630. Ich hatte keine Schmerzen in Hüfte, Knie oder unterm Fuß und trotz des pausenlosen Quatschens keinerlei Luftprobleme.

Daniela entpuppte sich aber nicht nur als eine unterhaltsame Laufpartnerin, sondern auch als äußerst ehrgeizig. So machte sie nach 3km die Ansage, dass sie jetzt nicht mehr von anderen Läufern überholt werden, aber selbst noch einige Läufer vor uns einholen und hinter uns lassen wollte.

Sie verfolgte die Teilnehmer vor uns mit Argusaugen, suchte ein schwächelndes Laufopferopfer aus und setzte dann Bernd auf die Aufholjagd an.

Und so blies sie dutzende Mal zum Angriff:
Bernd, den mit der grünen Jacke kriegen wir noch. Bernd, die mit dem Flaschengurt lassen wir noch hinter uns! Bernd, die drei da vorne überrunden wir noch!

Ihre Taktik funktionierte, denn wir wurden wirklich nicht mehr überholt, überholten aber selbst noch Myriaden von anderen Läufern.

Nach dem Wendepunkt an der Blauen Lagune, wurde es jedoch etwas anstrengender und unsere Konversation wurde deutlich einsilbiger. Ich vernahm ein leichtes Zwicken im rechten unteren Rücken und musste die Armarbeit und die Rotation des Oberkörpers einschränken, um schmerzfrei zu bleiben.

Ungefähr um Kilometermarke 10 hatten wir etwas den Anschluss an Bernd verloren, der gut 20 Meter vor uns lief. Hätte Daniela zu diesem Zeitpunkt nicht gezogen und mich mitgerissen, hätte ich wohl eine Gehpause eingelegt.

Besonders der letzte kleine Anstieg zum Poelvennsee über den Herscheler Weg zwang mich in die Knie. Daniela machte aber die Ansage, dass wir sogar noch das ewig vor uns laufende Pärchen, mit der Frau in der lilafarbenen Hose, einholen würden. Den Bruchteil einer Sekunde dachte ich Daniela jetzt ziehen zu lassen, aber wir waren die ganze Zeit zusammen gelaufen und ich wollte jetzt nicht auf den letzten 500 Metern aufgeben. Und so holten wir das Pärchen auch noch tatsächlich ein!

Zwanzig Meter vor dem Ziel merkte ich, dass sogar noch ein kleiner Spurt drin sein würde und so wollte ich mich bei Daniela revangieren und sie dazu ziehen, den sehr konstant laufenden und für uns lange Zeit für unüberholbar scheinenden Läufer des Rumelner TV, noch auf den letzten Metern zu überspurten. Leider ging die Rechnung nicht mehr ganz auf. Bernd und mir gelang es wenige Sekunden vor dem Rumelner ins Ziel zu laufen. Daniela blieb leider 4 Sekunden dahinter.

Nach dem Lauf tranken wir zusammen den ein oder anderen warmen Zitronentee, stießen auf meinen Geburtstag an und tauschten Telefonnummern aus.


Ich habe beide zum Venloop ins Hotel Puur eingeladen wo wir durch meinem Arbeitgeber Möglichkeiten zum Essen und Umziehen haben und freue mich die Beiden Ende März zum größten Niederländischen Halbmarathon in Venlo wiederzusehen.

Bereits wenige Stunden nach dem Lauf schmerzte der zweite Zeh meines rechten Fußes stark. Ich habe mir den Zeh gestaucht und einen Bluterguss unter dem Fußnagel erlaufen. Vermutlich muss ich noch einmal in den Schuhladen und mir für den Halbmarathon doch noch einen anderen Schuh zulegen.



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Nachts sind alle Läufer orange und tragen Müllsäcke. Zumindest ist das in Nijmegen in den Niederlanden so. --- 


Zevenheuvelennachtloop


Bei strömenden Regen und leichtem Hagel kam ich in Nijmegen an. Die erste Erkenntnis des Tages: Petrus ist kein Holländer!


Eigentlich war ich so früh da, dass ich ausreichend Zeit für eine kleine Stadtbesichtigung und einem ausgiebigen Besuch der Expo hatte. Aufgrund des Wetters strich ich aber die Stadtbesichtigung und schlug mich unter meinem Regenschirm gleich zur Expo durch.















Hier fühlte ich mich auch sofort wohl. Ein Dach über dem Kopf, Heizstrahler, jede Menge Läuferspielzeug und gleichgesinnte Läufer. Das Paradies!



Schnell bekam ich meine Startunterlagen und das T-Shirt und nahm jeden Stand exzessiv unter die Lupe. Es war herrlich.



Nach einer Stunde knurrte dann jedoch mein Magen verdächtig laut. Ich hatte morgens nur eine Kleinigkeit gegessen und weil ich noch zum Friseur musste keine Zeit für einen Mittagsnack gehabt.



Also entschloss ich mich noch eine Kleinigkeit beim Chinesen zu essen. Wirklich, nur eine Kleinigkeit. Etwas Reis und ein bisschen Hühnchen.

Die zweite Erkenntnis des Tages: Nicht jeder Niederländer spricht Deutsch oder Englisch. Zumindest nicht die chinesischen Niederländer.

Mit meinen sehr bescheidenen Niederländischkenntnissen versuchte ich der Dame klar zu machen, dass ich nur eine Kleinigkeit essen wollte, da ich gleich noch Laufen müsste und somit bekam ich gleich die doppelte Portion.

Reis mit Schinken und Spiegelei, dazu drei Hähnchen-Saté-Spieße.






Super lecker! Aber eine Stunde vor dem Lauf, sollte ich das nicht essen. Der Hunger siegte dann aber über die Vernunft und somit machte ich mich wohl gestärkt auf dem Weg zum Start. Hoffentlich würde ich dafür nicht während des Laufes die Quittung zahlen und mich übergeben müssen!

















Einlass in meine Startbox war 18:25 Uhr. Start war gegen 19:00 Uhr. Es goss in Strömen, es war windig und eisig kalt. Perfekte Bedingungen, um sich mal so eine richtig starke Erkältung einzufangen.



Kurioserweise hatten fast alle um mich herum Regenponchos. Ich hatte aber nirgends einen Stand gesehen, wo man die Dinger hätte kaufen können. Weder auf der Expo, noch an der Garderobe, noch links und rechts von den Startblöcken. Zum Glück hatte ich meine Regenjacke dabei, die jedoch eine viertel Stunde vor Start schon komplett durchnässt war.



Ich hatte mir vorgenommen die 7km des Zevenheuvelennachtloop unter 45 Minuten zu laufen. Das liest sich vielleicht nicht sonderlich ambitioniert, war es aufgrund der 7 Hügel jedoch! Außerdem hatte ich 2 Wochen wegen muskulärer Probleme kaum trainiert.



Aufgrund der Bedingungen verwarf ich aber mein Ziel. Bei nassem Untergrund benötigt man bei jedem Schritt mehr Kraft, weil die Bodenhaftung eingeschränkt ist, außerdem ist kühle Nässe Gift für die Muskulatur. Von daher dachte ich mir, dass es das Wichtigste sei, sich nicht zu verletzen und unter 50 Minuten zu bleiben.



Das Rennen startete Punkt 19:00 Uhr bei, strömenden Regen, heftigen Windböen und grellem Disko-Laserlicht! Die Stimmung war gut – das Gedränge groß.
Der erste Kilometer war ein Stop+Go. 7.000 Läufer quetschten sich durch die Straßen von Nijmegen und das Feld wollte und wollte sich einfach nicht lichten. Ich war ausschließlich damit beschäftigt aufzupassen meinem Vordermann nicht in die Haken zu laufen, von rechts und links keinen Ellebogen abzubekommen oder in eine tiefe Pfütze am Straßenrand abgedrängt zu werden. Das Positive war, man konnte nicht stehen bleiben oder langsam laufen. Man wurde von der Masse mitgezogen und ich hatte berechtigte Zweifel, dass ich das hohe Tempo den ganzen Lauf durchhalten könnte.



Ich brauchte also einen erfahrenen Pacemaker, der ein etwas defensiveres Tempo lief. Und Ruckzuck hatte ich auch schon einen älteren Herren mit Stirnband vor mir ausgemacht, der meinem Anforderungsprofil entsprach. Durch Nijmegen funktionierte das auch sensationell gut. Ich konnte schön im Windschatten bleiben. Das Tempo war nicht zu schnell aber immer noch ambitioniert genug, um irgendwo um die 45 Minuten einzulaufen. Aber dann kam der erste Hügel! Plötzlich war ich nicht mehr im Windschatten sondern gleich auf. Dann begann der ältere Herr verdächtig laut zu Schnaufen, wurde langsamer und von einer Sekunde auf die nächste war mit klar, dass ich mir einen neuen Pacemaker suchen musste.



Den bzw. die hatte ich auch sofort gefunden. Zwei junge Damen vor mir. Sie liefen das richtige Tempo und zogen mich den ersten Hügel rauf. Ganz schön nervig war allerdings, dass ich mich stark auf meine Atmung konzentrieren und gegen leichtes Seitenstechen ankämpfen musste, während sie vergnüglich nonstop quasselten.



Gehörigen Respekt hatte ich vor dem Kwakkenberg und dessen Anstieg auf 85 Höhenmeter – jedoch grundlos! Der Anstieg wurde vom Ingenieur Luuk van Laake in ein magisches Lichtkunstwerk verwandelt. Ich kam aus dem Staunen gar nicht mehr raus und bemerkte den Anstieg kaum. Ich fühlte mich an die Halloween-Nacht im Toverland vor zwei Jahren erinnert. Kurz vor dem Anstieg wurde es stockfinster. Mystische Musik drang aus Lautsprechern. Rechts und links erschienen Bäume in einem gespenstischen Licht. Es war wie ein Lauf durch einen Märchenwald.




Es war so spektakulär, dass ich meine Kamera aus der Gürteltasche zog und ein Foto machen musste. Und dabei musste es passiert sein. Irgendwie bin ich an irgendeinen Knopf an meiner Pulsuhr gekommen und hatte den Kompass aktiviert. Verschwunden war die Angabe von Pace, Distanz und Puls. Ich bekam es während des gesamten Laufs auch nicht mehr zurück gestellt. Hilfe! Was nun?



Zu allem Überfluss musste ich nach 5km wieder einen neuen Pacemaker suchen. Die beiden Mädels vor mir liefen wild von links nach rechts, um mit irgendwelchen Bekannten und Freunden abzuklatschen und zogen dabei auch noch kräftig das Tempo an. Zu schnell für mich. Ich musste bei dem hohen Tempo einige Male aufstoßen und wurde dabei erinnert, was ich vor einer Stunde noch gegessen hatte.

Daher entschloss ich mich mein eigenes Ding zu machen. Ohne Pacemaker, ohne GPS-Uhr, lies ich mich vom Flow treiben. Das Tempo konnte ich halten. Zum Glück hielten die Muskeln der Belastung stand. Auch das Läuferknie blieb ruhig. Lediglich das Atmen viel schwerer. Und dann sah ich es auch schon! Die bunten Laserstrahlen vom Zieleinlauf. Ein Endspurt war nicht möglich. Dafür war das Teilnehmerfeld immer noch zu voll. Ich hatte aber auch nicht mehr die Kraft dazu. Bei einer Bruttozeit von 49:49min. lief ich über die Ziellinie. Das war schnell! Am Start hatte ich gut und gerne 5 Minuten verloren. Eine Nettozeit von unter 45min. war daher drin! Leider bekam ich die Kompass-Funktion nicht aus der Uhr und entschloss mich gleich durch zur Expo zu gehen, um meine Zeit in Erfahrung zu bringen.

Die Idee hatten aber noch einige Hundert andere Läufer und so musste ich mich am Stand von Juichmoment: Nationale-Nederlanden eine viertel Stunde anstellen, um meine Endzeit in Erfahrung zu bringen. Es regnete noch immer, ich war von innen wie von außen tropfnass, mir war kalt und ich wäre besser gleich zurück zum Auto gegangen, aber ich wollte unbedingt meine Zeit wissen.

Und dann kam der große Moment. Ich wurde für das Foto mit meiner Endzeit aufgerufen. 41:59 Minuten. Wahnsinn! Weit unter meinem ursprünglichen Ziel von 45 Minuten!
Ich war überglücklich. Auf einmal machte mir auch der Regen und die Kälte nichts mehr aus. Das war ein super Ergebnis und ein Ausrufezeichen auf dem Weg zum Venloop Halbmarathon. Erkenntnis Nummer drei: Es kommt immer anders, als man denkt.



 
Wie in Trance fuhr ich danach zurück nach Hause, wedelte stolz mit der Finisher-Medaille vor den Augen meiner Frau und lies mich dann in eine wohlverdiente heiße Badewanne mit Kneipp Gelenk & Muskel Wohl fallen.


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Fluch besiegt und Abteiberg bezwungen!

Fast hätte ich den SportScheck Nachtlauf in Mönchengladbach verpasst und beinahe hätte ich abgesagt, aber wie heißt es doch gleich so schön: „Ende gut, alles gut!“


Ich hatte mich kurzfristig erst eine Woche vor dem Start für den Nachtlauf angemeldet. Eigentlich passte der Lauf gar nicht in meinen Trainingsplan. Doch die Medaille und das Gesamtpaket weckten mein Interesse und ich hatte einfach Bock auf einen Wettkampf.

Die Vorzeichen standen allerdings nicht gut, denn ich musste den Mika Championchip-Fluch besiegen. Im Gegensatz zu meinen bisherigen Wettkämpfen, gab es keinen Einmallaufchip, sondern es wurde der Mika Championchip zur Zeitmessung eingesetzt. Prima! Ich hatte ja noch einen. Allerdings noch nie benutzt. Vor zwei Jahren hatte ich den Chip samt Anmeldung für den Apfelblütenlauf in Tönisvorst zum Geburtstag geschenkt bekommen und leider wurde ich krank und musste den Lauf absagen. Ein Jahr später meldete ich mich wieder für den Apfelblütenlauf an und wurde erneut krank und konnte nicht mitlaufen. Und jetzt Anmeldung Nummer drei mit meinem sonnig gelben Mika Championchip. Würde dieses Mal wieder etwas dazwischen kommen?

Vier Tage vor dem Lauf sah es ganz danach aus, denn Montagmorgen wachte ich mich Halsschmerzen auf. War etwa eine Erkältung im Anmarsch?
Sofort griff ich ins Medikamentenkästchen und füllte mich mit Laryngsan, Umckaloabo und Vigantol ab. Es half! Mittwoch waren die Halsschmerzen verflogen.
Dafür ereilten mich Donnerstag während des Abendessens zerreißende Magenkrämpfe und ich konnte nichts mehr essen. Details erspare ich Euch an dieser Stelle.
Am Freitagmorgen stand dann für mich fest, dass ich den Lauf absagen würde, denn nach dem Aufstehen verspürte ich ein ekliges Stechen in der rechten Kniekehle. Aber dann wurde mir klar, ich musste den Mika Championchip-Fluch besiegen! Ich würde laufen, egal was da kommen würde! Augen zu und durch!

Nun es kam Regen, obwohl bestes Herbstwetter angekündigt war. Und zu allem Übel hatte ich nicht ausreichend Kleingeld für die Parkuhr dabei. Doch auch davon lies ich mich nicht mehr abhalten. Sollten sie mir doch ruhig ein Knöllchen verpassen!

SportScheck Nachtlauf Mönchengladbach

Pünktlich am SportScheck im Minto angekommen wartete aber schon die nächste Enttäuschung auf mich. Mein Laufpartner war nicht da. Er hatte auch auf meine What’s App Nachrichten im Laufe des Tages nicht reagiert und so stellte ich mich langsam darauf ein ohne meinen Pacemaker zu laufen.

Ausgabe der Startunterlagen

Aber wie bereits gesagt, ich würde mich durch nichts mehr aufhalten lassen diesen Nachtlauf zu laufen. Komme was wolle. Und was kam?
Der Zahnfleischläufer!
Mein Laufkollege trudelte mit etwas Verspätung ein, da er den Zug verpasst hatte. Ich war erleichtert. Unser Plan war einen schönen gemütlichen Lauf abzuspulen, was zu erzählen, den Lauf zu genießen und hinten raus mal gucken was noch möglich sein würde.

Auf geht's!

Nun möglich wurden dann Wadenkrämpfe. Beidseitig! Und zwar gleich 200m nach dem Start. Ich fühlte mich an Frank aus der Doku "Von Null auf 42“ erinnert. An den drahtigen Justizvollzugsbeamten der ausgerechnet beim finalen Marathonlauf in New York von unerträglichen Wadenkrämpfen gequält wurde.

Mein Laufkollege wollte schon anhalten und machte mich darauf aufmerksam, dass wir bereits die Vorletzten waren und ich nicht leichtsinnig eine Verletzung riskieren sollte.

Aber nein! Aufgeben stand überhaupt nicht zur Debatte und als ich mir bewusst wurde, dass ich heute diesen Lauf wirklich beenden würde, drehte sich das Blatt. Die Wadenkrämpfe verschwanden, mein Knie blieb ruhig, ich hatte gut Luft und fühlte mich so gut, dass ich anfing den Zahnfleischläufer zu zutexten.

Es war genau wie geplant! Ein ganz lockerer Lauf. Wir unterhielten uns über die Arbeit und genossen die Strecke durch Mönchengladbach Downtown - über die Postgasse, Lambertsstraße und Lüpertzender Straße.

Es wird dunkel!

Die kleine Steigung am Anfang des Geroparks ließ uns dann aber schon erahnen, was noch auf uns wartete. Der Abteiberg! Nicht umsonst sagte man mir im Vorfeld, dass der Stadtlauf Mönchengladbach ein anspruchsvoller Lauf und für Anfänger ungeeignet wäre.

Die Strecke führte am idyllischen Geroweiher vorbei, raus aus der Parkanlage und dann ganz ganz langsam über die Aachener Straße hinauf zum Kapuziner-Platz. Die Strecke zog sich endlos und der Abteiberg kam mir vor wie der Nanga Parbat. Auch mein Laufkollege machte der Anstieg zu schaffen. Er schnaufte, pustete und machte seinem Namen aller Ehren. Er lief auf dem Zahnfleisch, mit schmerzverzerrtem Gesicht aber riss mich mit.

Oben am Alten Markt angekommen, konnte man endlich wieder verschnaufen und auch ein paar Worte wechseln. Ich war erleichtert und ich meine auch Erleichterung in den Augen meines Lauf-Companions erkannt zu haben. Wir hatten diesen Monsterberg besiegt und nun ging es steil die Hindenburgstraße runter zum Ziel und in die zweite Runde. Genau! Zwei Runden mussten zurückgelegt werden!


Im Vergleich zur ersten Runde waren wir aber schon längst nicht mehr die Vorletzten. Wir überholten einen Läufer und eine Läuferin nach einander und ich musste urplötzlich an Pokémon denken. Mit jedem überholten Läufer gab es ein Pokémon mehr im Laufdex. In der Postgasse wurde ein Rattfratz, in der Lambertsstraße ein Pikachu und auf der Lüpertzender Straße zwei Pummeluffs eingesammelt. Es machte richtig Spaß. Dabei vergaß ich allerdings ganz meinen Laufkollegen und als ich mich kurz vor der kleinen Steigung am Eingang des Geroparks umsah, war der Zahnfleischläufer außer Sichtweite.

Apropos Geropark, diesen würde ich gerne in Vondelpark umbenennen. Kurz hinter dem Geroweiher flog ein Übelkeit erweckender Geruch von Marihuana in meine Nase. Mir wurde kotzschlecht und ich zog mein Laufshirt übers Gesicht. Ich fragte mich, ob wir Stadt- und Nachtläufer so quälend langweilig für die Ordnungskräfte waren, dass diese uns nur unter Drogen ertragen konnten oder ob es hinter den Bäumen und Sträuchern im Park von zugedröhnten Kiffern nur so wimmelte, für die es nichts Schöneres gab, als bei leichtem Regen und kühlen Wind auf feuchtem Boden zu liegen und berauscht von Cannabisblättern nicht immer ästhetisch anmutendes und in hautenge Tights gequetschtes Muskelmaterial zu begutachten. Sehen konnte ich sie jedenfalls nicht. Denn in der zweiten Runde war es im Geropark stockfinster.

Zum Glück ist man aber auch so schnell wie man in den Park rein läuft, auch raus und ich konnte mich wieder ganz meinem Läufer-Pokémon-Spiel widmen.

Auf der Aachender Straße sammelte ich noch zwei Golbats ein und dann kurz bevor es wieder rauf zum Kapuziner-Platz ging holte ich ein Pokémon ein, was von hinten mit dem geflochteten langen schwarzen Pferdeschwanz wie Lara Croft aussah. Ok, Lara Croft würde ich auch noch kurz überholen und dann den Nanga Parbat zum zweiten Mal an diesem Abend hinauf stürmen. Aber Pustekuchen!

Lara Croft ist eben Lara Croft und nicht mal eben so einfach zu überholen. Ich schaffte es auf gleicher Höhe mit ihr zum Anstieg. Schritt für Schritt quälten wir uns rauf. Die Luft wurde dünn, meine Schläfte pochte, mein Puls ging auf 200 hoch. Bloß jetzt nicht schlapp machen dachte ich.
Mir war klar, dass ich nur hoch bis zum Kapuziner-Platz mithalten müsste und dann würde ich sie überholen und einsammeln wie all die Lauf-Pokémons vor ihr.
Aber Lara Croft war kein Pikachu, sondern entpuppte sich als ein Lugia, schlug ihre Flügel am Alten Markt angekommen auf und stütze sich im Vollsprint die Hindenburgstraße runter Richtung Ziel.

Eine Millisekunde dachte ich anzuziehen und mit zu sprinten, aber der Abteiberg hatte seinen Tribut gezollt und ich war definitiv zu platt für einen Endspurt. Also ließ ich mich die Hindenburgstraße runter treiben, sammelte noch das ein oder andere Pikachu kurz vor dem Ziel ein und wartete auf den Zahnfleischläufer, um uns dann über das reichhaltige Buffet hinter der Ziellinie her zu machen.

Wasser, Apfelschorle, Grapefruitsaft und mehr!

Chapeau an die Organisatoren von SportScheck. Dem Läuferherz fehlte es an Nichts! Es gab Mineralwasser, Apfelschorle, Zitronenlimonade, Grapefruitsaft, AA-Sportdrinks, Alkoholfreies Erdinger Weißbier, Brezeln und Laugenstangen sowie Bananen und Sportlernahrung von Hipp.

Sie hat mich den Abteiberg hoch gezogen ;-)

Ich lernte dann auch noch Lara Croft kennen, die eigentlich Corinna heißt und bevor es wieder Richtung Heimat ging, machten wir noch schnell ein Erinnerungsfoto am DAK Stand und stießen auf den Sieg über den Mika Championchip-Fluch an.

Endlich war es vollbracht. Mein erster beendeter Lauf mit dem Mika-Chip. Es war ein super tolles Laufevent und ich komme gerne wieder!


PS: Ein Knöllchen habe ich übrigens nicht bekommen. ;-)

Minto SportScheck Mönchengladbach Der Zahnfleischläufer.








































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14. Sparkassenlauf Wachtendonk

Am Ende war es knapp. Nur 30 Sekunden trennten mich von meinem Laufkollegen Alwin. Trotzdem stand meine Jahresbestzeit, aber der Reihe nach.


Rund 559 Läufer fanden am 3. September ihren Weg nach Wachtendonk, um ihre Runden durch den historischen Ortskern rund um den Friedensplatz zu drehen. Darunter meine beiden Laufkollegen, Alwin & Sebastian und ich.

Punkt 14:00 Uhr trafen wir uns an der Sparkasse in Wachtendonk. Sebastian hatte schon unsere Startnummern abgeholt. Es war unser erster gemeinsamer Lauf, seit dem Venloop 2016. Während Sebastian erst einen Charity-Lauf in diesem Jahr mitgelaufen war, Alwin noch gar keinen Wettkampf in 2017 bestritten hatte, so hatte ich auch eine längere Wettkampfpause von vier Monaten eingelegt, um mein Läuferknie in den Griff zu bekommen. Unsere Erwartungen waren dementsprechend gering. Wir waren uns vor dem Lauf einig: In unter 35 Minuten ins Ziel einzulaufen, durfte als Erfolg verbucht werden!

Den Anfang machten die Schüler über 500 sowie 1500 Meter. Danach folgten die Läufe für Erwachsene über 5km und über 10km. Wir starteten zusammen im hinteren Drittel des Teilnehmerfeldes. Die ersten 500m schafften wir es auch noch als Gruppe zusammen zu bleiben. Dann setzte sich Alwin schon ab. Sebastian und ich staunten nicht schlecht, als er nach wenigen Minuten bereits 20 – 30 Meter Vorsprung hatte und wir nicht mehr rankamen.

Nach der ersten Wendemarke war Alwin dann auch nicht mehr zu sehen. Das war der Zeitpunkt wo sich unsere Gruppe ganz auflöste, weil Sebastian mein Tempo nicht mehr halten konnte und sich zurückfallen lies.

Irgendwo im Niemandsland des hinteren Drittels absolvierte ich dreiviertel der kompletten Strecke. Keiner zum Quatschen, kein Pacemaker und vor allen Dingen kein Schatten.

Die Sonne knallte und ich nahm dankend jeden Rasensprenger mit, den Anwohner für uns Läufer an der Strecke positioniert hatten. Die Hitze war mein größter Gegner an diesem Tag und trieb meinen Puls auf 200 hoch. Doch zum ersten Mal seit ganz langer Zeit keine Schmerzen. Keine Schmerzen in der Hüfte, keine Schmerzen im Knie! Das Medical Fitness Training und die Physiotherapie hatten sich ausgezahlt.

Trotzdem war ich nicht glücklich. Die Lücke zu Alwin wurde größer und größer. Ich konnte ihn ca. 50 Meter vor mir sehen. Manchmal blieb er stehen, pustete kurz durch oder nahm sich einen Becher am Getränkestand. In diesen Momenten witterte ich meine Chance wieder ran zu kommen, aber Pustekuchen! Keine Chance. Als hätte er hinten Augen oder würde mich wittern, nahm er sofort wieder Fahrt auf und erstickte meine Hoffung im Keim. Ich kam nicht mehr ran.

Aber ich hielt die komplette Strecke durch, ohne stehen zu bleiben, ohne Schmerzen zu haben. Doch ich war konditionell fix und fertig und schleppte mich die letzten Meter ins Ziel, wo Alwin auch schon auf mich wartete. 

In einer sensationellen Zeit von 30:45 Minuten absolvierte Alwin den historischen Rundkurs in Wachtendonk. Ich war mit einer Zeit von 31:15 nur 30 Sekunden dahinter und hatte meine persönliche Jahresbestzeit aufgestellt und auch Sebastian lief mit 34:10 in seiner Jahresbestzeit durchs Ziel.

Wir hatten alle unser vorher gestecktes Ziel erreicht. Alle sind wir deutlich unter 35 Minuten ins Ziel gekommen und genehmigten uns zwei, drei kühle Zitronen-Tees auf diesen Erfolg.















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9. Sparkassen-Citylauf in Geldern


Nach einer etwas längeren Trainingspause, einer intensiven Behandlung meiner Schleimbeutelentzündungen mit Quarkwickel und Retterspitz, wollte ich es wissen!
Ist die Entzündung besiegt oder gilt es weiter die Bursitis zu bekämpfen?

Der Citylauf in Geldern und um ganz korrekt zu bleiben, der Baufuchs-Vos-Firmen- und Hobbylauf, schien mir der dafür am besten geeignete Wettkampf zu sein.

Die Bedingungen waren ideal. Ich habe mich sehr gut gefühlt, die Sonne hat geschienen, es waren ca. 22°C, die Infrastruktur war vorbildlich, ich war kurz vor dem Start noch einmal schnell für kleine Jungs, ich hatte mich intensiv abseits des Marktes im Schatten aufgewärmt; kurzum: es war alles perfekt!

Etwas überrumpelt fühlte ich mich aber vom Start. Ich hatte mich gerade erst eingereiht und die Apps 'NRC' und 'Map my Run' geöffnet, da hörte ich auch schon so etwas ähnliches wie einen Startschuss. 
In in der Tat, es ging schon los. Also schnell das iPhone im Laufgürtel verstaut und den Forerunner gestartet. Arrrrr... Satelitensuche und ich hatte die Startlinie schon überquert.  😡
Diesmal ging die Satelitensuche aber schnell und das, obwohl ich schon in Bewegung war. 

Apropos Bewegung - nicht einmal 200m nach dem Start stolperte ich schon in die ersten Schülerinnen rein. Ok, es war warm. Ok, Anfänger unterschätzen sich gerne mal am Start und laufen viel zu schnell los, aber wie kann man bitte schon nach 200m stehen bleiben??? 😤

Nun gut. Nicht meine Sache. Konzentrieren und im Slamon dran vorbeilaufen. Sehr erfreulich, die Knie machten keine Malessen, dafür meldete sich bereits nach 1km der rechte Glutes medius und ärgerte meinen Schleimbeutel in der Hüfte. Verflixtes Ding! 

Nach und nach bemerkte ich, dass auch ich zu schnell los gelaufen war und nun als Gegenpol zum Glutes medius rechts, Seitenstiche links mein Laufvergnügen schmälerten. 

Ich brauchte einen Pacemaker! Und da war sie auch schon! Sabine vom Team Gesundheitscampus Geldern. Ich erkannte gleich, dass sie erfahren und fit war und ganz ordentlich ihr gemütliches Lauftempo halten konnte. Das war jetzt genau das was ich brauchte, um meinen Seitenstichen und den Schmerzen in der rechten Hüfte Herr zu werden.

An dieser Stelle: GANZ VIELEN LIEBEN DANK, SABINE!

Ich konnte mich sehr gut in ihrem Windschatten erholen und 2/3 der Strecke ziehen lassen. Kurz vor dem Ziel hörte ich noch einmal in meinen Körper, ob noch genug Luft für einen Endspurt vorhanden war und ja - da ging noch was!

Kurz spielte ich noch mit dem Gedanken, ob ich als Dank Sabine als Erste durchs Ziel laufen lassen sollte, aber es siegte schließlich der Wettkämpfer in mir. Sorry, Sabine!


Fazit: Es war ein toller Lauf, die Knie haben gehalten, aber rechts verkrampft der Glutes medius. Unter diesen Umständen kann ich noch keine längeren Läufe machen. Mal abwarten was der Orthopäde am Donnerstag sagt.


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