Silvesterlauf Neuss - würgend über Pferdeäpfel



2018 war ein erfolgreiches Laufjahr. Mein persönlich erfolgreichstes Laufjahr. Vom beinahe Sportinvaliden zum 3-fach Halbmarathonfinisher. Das musste gebührend gefeiert werden. Wie sollte es anders sein - natürlich mit einem Lauf.

Silvester, Jahresende, der letzte Lauf im Laufjahr 2018 stand an. Ungefähr 900 Läufer versammelten sich auf dem Rheindeich in Uedesheim. Darunter meine Laufbekanntschaft Bernd und ich. Meine anderen Lauffreunde waren zur sehr damit beschäftigt gewesen schweres Geschütz im Vorgarten für das anstehende Silvesterinferno aufzufahren und hatten abgesagt. Man muss halt Prioritäten setzen und Laufen und die Aufrüstung des eigenen Haus und Hofes, mit auf dem Schwarzmarkt günstig erworbenen und garantiert illegalen Ost-Europäischen Feuerwerkskörpern, waren nicht für jeden Endzeitläufer unter einem Hut zu bekommen.
Ich hatte mich für Flo Neuschwanders Motto „ballern statt böllern“ entschieden und auf den Erwerb jeglicher mit Schwarzpulver gefüllten Hartpapp-Raketen verzichtet.

Pünktlich stand ich mit Bernd 12:00 Uhr auf dem Rheindeich. Die Bedingungen waren gut. Es war kühl, leicht windig, aber trocken. Ich freute mich auf die 10km lange Strecke am Rhein entlang. Gut auf die vor mir liegenden Forst- und Wiesenwege vorbereitet, trug ich meine saucony Peregine 8 Trailschuhe. Für Fahrradwege nicht unbedingt geeignet, aber auf Niederrheinischen Trampelpfaden meine absoluten Lieblingsschuhe.
Nicht eine Rakete die steil in die Neusser Wolkendecke schoss, sondern ein uns Läufer gewöhnlich, fast schon unoriginell bekannter Startschuss ertönte und wir setzten uns in Bewegung. Auf Asphalt! Der Rheindeich entpuppte sich als aalglatt geteerter Fahrradweg, perfekt geeignet für Rennräder, Inliner oder Straßenlaufschuhe, aber gar nichts für den Peregrine 8.

 
Ich quälte mich auf den ersten Metern über den Asphalt und versuchte mich durch ein Gespräch mit Bernd von meinen Fußschmerzen abzulenken. Durch die Masse mitgerissen liefen wir auf den ersten Kilometern eine 5er Pace. Deutlich zu schnell für Bernd, dessen Lunge wie ein alter Teekessel pfiff. Eine gepflegte Unterhaltung war nicht möglich, aber bestimmt auch nicht nötig, denn sicherlich würde es in ein paar Metern rechts vom asphaltierten Radweg runter in Richtung Rhein auf einen matschigen Feldweg gehen. Ein paar hundert Meter später ging es dann tatsächlich vom Radweg runter, aber nicht rechts Richtung Rhein, sondern links ins Wohngebiet.
Ein Untergrund der für den Peregine noch ungeeigneter als ein geteerter Radweg ist, ist eine gepflasterte Spielstraße. Wo war bloß der versprochene Naturweg am Rhein entlang? Hier in Uedesheim suchte ich ihn vergeblich.

Die Strecke machte ein paar Wendungen und führte am Reitgut Alt-Wahlscheid vorbei. Bitte versteht mich nicht falsch. Ich liebe alle Tiere. Auch Pferde, obwohl ich eine Pferdeallergie habe. Aber wieso müssen Hundebesitzer überall den Furz von einem noch so kleinen Yorkshire-Terrier von der Straße kratzen und Pferdebesitzer dürfen ungestraft ihre Gäule eine öffentliche Straße mit knöcheltiefen Pferdeäpfeln zukacken lassen?
Der Peregine liebäugelte schon mit der Herausforderung mit Anlauf in die matschig weiche Ausscheidung zu springen, aber ich zügelte das Trail-Biest, um meine Mitläufer nicht von oben bis unten mit Pferdekacke einzusauen.
Meine Vorstellung von einem idyllischen Schotterweg am Rhein entlang musste der Realität weichen. Der Rheindeich-Wanderweg entpuppte sich als Pferdeäppel-Ausweichweg. Wohlgemerkt vom Rhein weg Richtung A46. Anstelle des Wellenrauschens drang das hektische Endjahresrasen auf der Autobahn in mein Ohr.

Die Hälfte war geschafft. Bernd sah auf die Uhr. „Schon über 30 Minuten“ keuchte er. Das war’s dann. Mein Plan dieses Jahr wenigstens einmal den 10er unter einer Stunde zu laufen, war pulverisiert. Ich hatte die falschen Reifen aufgezogen, wurschtelte mich von links nach rechts durch monströse Kothaufen und lag schon deutlich hinter meiner geplanten Zeit. Nicht schlimm genug, wurden Bernd und ich nun auch von einer müffelnden Laufgruppe eingekesselt. Eine olfaktorische Bombe aus kalten Scheiß, billigen Moschus und Pferdemisst explodierte in meiner Nase. Ich begann zu würgen. Mir wurde speiübel. Wie konnte ein Läufer nur dermaßen stinken, dass er oder vielleicht auch sie, mich dermaßen animierte mein Frühstück als Sahnehäubchen auf ein Pferdeäpfelchen zu platzieren?
Bernd bemerkte mein Würgen. Ich wollte ihm sagen, dass es nicht an unser Pace läge und ich fit bin, aber bevor ich auch nur ein Wort sagen konnte, pumpte der schweißige Moschusgestank meine ersten Frühstücksbröckchen nach oben und ich konnte nur in allerhöchster Not und im letzten Moment gerade noch so die Ausfuhr stoppen. Sofort verdonnerte ich mir die Klappe zu halten, etwas schneller zu laufen und diese Stinktiergruppe hinter mir zu lassen.

Bernd hatte Mühe mitzuhalten. Die flache Strecke am Rhein entlang entwickelte sich zur Bergstrecke. Deich rauf, Deich runter, Autobahnbrücke rauf, Autobahnbrücke runter. Und immer in Slalomlinien durch die Pferdeäpfel. Immerhin sorgten die strategisch wohl platzierten Misthaufen für Abwechslung und vertrieb die monotone Langeweile der mittlerweile wieder geteerten Straße. Vermutlich hegte der Besitzer des Guts Alt-Wahlscheid einen Groll gegen Turnschuhheitzer und scheuchte am Vorabend die komplette Herde, mit der Ausrichtung alles mal schön für die Läufer morgen voll zu kacken, über die Rennstrecke. Mit großem Erfolg. Der Gestank trieb mich an schneller zu werden. Bernd gab mir das Zeichen nicht auf ihn zu warten.
Ich drehte auf und wollte diese Tortour schnellstmöglich hinter mich bringen. Der Rückweg führte erneut am Reiterhof Alt-Wahlscheid vorbei, durchs Wohngebiet, zurück rauf auf den Deichweg. Endlich war auch der Rhein mal wieder zu sehen. Nur noch einen Kilometer. Ich quälte mich die geteerte Strecke dem Ziel entgegen. Da war er auch schon in Sichtweite. Der Startbogen. Es wurde enger auf der Strecke. Endlich standen auch wieder Zuschauer am Wegesrand und feuerten an. Ich lief mit hoch rotem Kopf und letzter Kraft durch den Startbogen, aber erkannte sofort, dass es noch nicht das Ziel war. Verdammt, wo war das Ziel? Der Weg führte weiter den Rheindeich hinauf bis zum Restaurant „Rheinterrasse Uedesheim“, viel dann steil ab, machte eine 160° Grad Kurve und führte weiter bergab Richtung Rhein. Mit allerletzter Kraft und leerem Tank fiel ich durch’s Ziel. Bruttozeit 1:00:49.

Keuchend wurde ich von der Masse Richtung Getränkestand geschoben. Leise Hoffnung keimte in mir auf. Sollten vielleicht mehr als 49 Sekunden zwischen Startschuss und meiner Überquerung der Startlinie gelegen haben? Ich blickte mich um, von Bernd war noch nichts zu sehen. Geistesabwesend registrierte ich wie eine junge Dame mir einen in Folie eingehüllten Weckmann um den Hals hängte. Völlig entkräftet fingerte ich mein iPhone aus der Tasche und suchte meine Startnummer in der Ergebnisliste. Die Nettozielzeit betrug 59:54. Ich hatte es geschafft. Schulbuchmäßig hatte ich die zweite Rennhälfte schneller zurück gelegt als die erste. Das war mir bis dato noch in keinem Rennen gelungen. Ein zartes Lächeln breitete sich zu einem arroganten Grinsen aus. „Tschakka!“
Trotz falschem Schuhwerk, trotz Pferdehaufen-Hindernisslauf und trotz der olfaktorischen Nahtoterfahrung war es mir gelungen das Laufjahr 2018 mit einer persönlichen Bestleistung abzuschließen.
Väterlich legte sich eine Hand auf meine Schulter. Bernd hatte die Strecke in 1:03:05 gemeistert. Wir klatschten ab! Was für ein toller Lauf! Was für ein tolles Laufjahr! Wie es sich für Silvester gehört stießen wir auf unseren Erfolg mit einem Gläschen Sekt an und schmiedeten Pläne für’s neue Laufjahr! 2019 kann kommen, wir sind bereit.



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