Kreuz und quer durch Utrecht


 Richtige Kerle machen keine halben Sachen. Daher kam der Halbmarathon für Axel und mich nicht infrage. Wir gingen „all in“ und haben unser Leben auf der abenteuerlichen Kwartmarathon-Route riskiert.

Utrecht Marathon bedeutet Fat Boys Run Hörer Treffen und Fat Boys Run Hörer Treffen bedeutet Pasta Party bei Philipp Jordan. Das Laufabenteuer Utrecht startete weltmeisterlich. Weltmeisterlich war die selbstgemachte Tomaten-Soße vom Hausherr Philipp, sowie die Eiscreme von Roberto Gelato in der Poortstraat. Es war ein rundum gelungener Abend und Auftakt in das Laufabenteuer Utrecht. Ein Haufen laufbegeisterte Podcast-Hörer und -Produzenten, jede Menge Kohlenhydrate,  Apfelschorle und Fachsimpelei, gepaart mit einem Schuss Blödelei über unser aller Lieblingsthema: Laufen. Der Himmel auf Erden, der sich aber schon am nächsten Morgen in die Hölle von Utrecht verwandelte.

Stau! Bereits auf der Autobahnabfahrt zum P+R Parkhaus. Umleitungen oder Ordnungskräfte: Fehlanzeige! Nicht ein zu ambitioniertes Lauftempo, sondern die Stand- und Wartezeit trieben meinen Puls in die Höhe. Axel vom Podcast Rennsandale wartete bereits am Start auf mich und ich stand schon eine dreiviertel Stunde in der Warteschlange im Parkhaus. Ein Wagen fuhr raus. Ein Wagen fuhr rein. Leider fuhr allerdings nicht schnell genug wieder der nächste Wagen raus und so dauerte es manchmal zehn Minuten bis ein weiterer Wagen reinfahren konnte. Das war deutlich zu langsam, um noch rechtzeitig den Startschuss mitzuerleben. Niederländische Läufer sind in dieser Hinsicht aber pragmatisch. Was nicht auf ist, wird auf gemacht. Und so sprang ein Clan junger Kerle aus einem Wagen, zogen die Schranke mit Gewalt hoch und erlaubte so einer Handvoll Autos unerlaubten Einlass. Ich war einer der Glücklichen.

Abgehetzt erreichte ich den Start. Philipp und die Hörer waren bereits in den Halbmarathon gezogen. Axel und ich machen aber keine halben Sachen. Zumindest nicht an diesem Tag. Daher hatten wir uns tollkühn für den Kwartmarathon angemeldet. Der gemeine Leser fängt jetzt an zu rechnen, Marathon geteilt durch vier, sind 10,55km.  Aber nicht der Kwartmarathon in Utrecht. Aber dazu später mehr.



 Ein grooviger Technobeat, ein Einpeitscher der wie Daniel Campbell „Dan“ Smith aussah und wild rumhüpfte, tausende Läufer, die ihre mickrigen Läuferärmchen in die Höhe ragten und lauthals ihre Lust, das Gummi ihrer hochentwickelten Laufschulsohle auf den Straßen Utrechts zu hinterlassen, raus schrien. Ein Bild was sich also jedes Wochenende bei zahllosen Laufveranstaltungen immer und immer wieder zeigt. Noch war alles normal. Axel machte ein Selfie, ich zog den Reißverschluss meiner Laufweste hoch und dann ging es auch schon los.

Wenige Meter nach dem Start ein Aufschrei. „He, pass auf!“ Ich wurde nach vorne gedrückt und unsanft von hinten umgegrätscht. Wie ein Känguru sprang ein Guerilla-Läufer an mir vorbei. „Das ist asozial!“, rief eine Läuferin hinter mir. Meine erste schmerzliche Erfahrung des Tages. Beim Kwartmarathon werden die Ellbogen ausgefahren und ohne Rücksicht auf Verluste, wie bei einem mickrigen Vollpension-Buffet in einem schäbigen drei Sterne Hotel auf Mallorca, nach vorne gestürmt. Ungläubig sah ich Axel an. Der hatte allerdings gar nichts von diesem rücksichtslosen Angriff mitbekommen, weil er auf den Asphalt fokussiert war. Hatte ich es schon erwähnt? Axel war barfuß unterwegs und vollends damit beschäftigt seinen nächsten Schritt nicht auf einen scharf kantigen Stein, in eine Glasscherbe oder einen Hundehaufen zu setzen.

Die nächsten Kilometer führten uns ein wenig aus der Stadt raus. Vorbei an Bauzäunen, parkenden Autos und genervt dreinblickenden Passanten. Axel tänzelte von links nach rechts zur Mitte, um auf der glatten und für ihn angenehmeren Fahrbeinmarkierung zu laufen. Ich flankierte ihn von rechts oder links, damit keiner der Niederländischen Guerilla-Läufer ihn auf die schutzlosen Quanten trampelte.
Unbekümmert liefen wir so mehrere Kilometer vor uns her. Oft überholten wir andere sehr ambitioniert wirkende Läufer, manchmal wurden aber auch wir überholt. Alles nahm seinen Lauf bis ungefähr Kilometer Marke 8. Gedanklich befassten wir uns schon mit der Zieleinlaufpose, als sich zwei Wege kreuzten und andere Läufer von rechts dazu stießen. Es wurde hektisch und unübersichtlich. Der Weg gabelte es sich. Einige liefen nach rechts, einige nach links. Keine Absperrgitter. Keine Ordner. Keine Fahrbahnmarkierungen. Axel und ich tendierten nach rechts. Passanten schrien und gestikulierten wild nach links. Also gut, dann liefen wir eben nach links. Das Teilnehmerfeld wurde voller. Anscheinend waren wir so kurz vor dem Ziel jetzt mit den Halbmarathon Läufern auf einer Route und sollten den Zieleinlauf gemeinsam genießen dürfen.

Die Strecke führte zurück in die Stadt. Durch kleine Gassen an malerischen Grachten vorbei.
Herrlich! Doch Vorsicht. Das naiv idyllische Bild der Niederländischen Grachtenstadt war trügerisch, denn der Kwartmarathon ist heimtückisch, brutal und unberechenbar. Urplötzlich führte die Route auf eine vierspurige Hauptstraße. Fahrende Autos kamen hupend auf uns zu. Axel und der Großteil der anderen Läufer schlugen sich auf die rechte Fahrbahn. Ich sprang auf den linken Fahrradweg. In Schlangenlinien umkurvte ich Passanten, Radfahrer, andere Läufer, warf einen Blick über die Schulter und nutze einen günstigen Augenblick im dichten Stadtverkehr, um ebenfalls auf die andere Straßenseite zu gelangen.


 Meine Laufuhr zeigte 10 Kilometer an, als sich die Route erneut gabelte. Axel und ich tendierten weiter auf der Route geradeaus zu laufen. Erneut keine Absperrung, keine Ordner, keine Fahrbahnmarkierungen oder Schilder. Passanten schrien: „Liiiiiiiiinks!“ Also schwenkten wir kurz nach links, als zwei hilfsbereite Passantinnen todesmutig auf die Straße sprangen und uns mit wilden Armbewegungen aufforderten doch geradeaus zu laufen.
Kurze Zeit später erreichten wir Kilometer Marke 16. Erzürnt maulte ein Niederländischer Grachten-Läufer: „So eine Scheiße! Das passiert schon das zweite Mal hier!“ Wir ahnten böses. Jetzt setzen wir auf Kommunikation. Was war passiert? Wo waren wir? Wo war das Ziel des Kwartmarathons? Dank unserer rudimentären Niederländisch Kenntnisse konnten wir in Erfahrung bringen, dass wir nun auf der Halbmarathon-Strecke waren und das Ziel noch weitere 5 Kilometer vor uns lag. Dieser gottverdammte Kwartmarathon! Er wollte uns testen, uns in die Knie zwingen, uns brechen. Aber aufgeben stand für uns nicht zur Debatte. Axel kramte die Laufsandalen aus seinem Rucksack. Neu besohlt ging es auf ins letzte Drittel des Viertel-Marathons.


 Wir näherten uns peau à peau dem Ziel. Jetzt stand auch hin und wieder mal eine Band am Wegesrand und Zuschauer mehrten sich. Kurz vor dem Ziel die nächste Überraschung. Wie ein Leuchtturm in der Abenddämmerung verfinsterte die Silhouette eines groß und kräftig gebauten Lauf-Titanen den Himmel. Wir hatten Philipp eingeholt. Sichtlich erfreut uns zu sehen klatschten wir mit einem High Five ab.
Der letzte Kilometer führte unspektakulär an unansehnliche Bauklötze des Universitätsviertel vorbei. Philipp quasselte ohne Punkt und Komma auf uns ein. Passanten klatschten.  Eine Niederländische Straßenband spielte Karnevalsmusik. Die Strecke wurde schmaler. Kwart- und Halbmarathon-Läufer knubbelten sich auf den letzten Metern. Dann rissen wir die Arme hoch. Es war vollbracht. Wir hatten uns nicht gebeugt. Wir hatten der Herausforderung die Stirn geboten. Wir hatten den Kwartmarathon besiegt.

Nach dem Zieleinlauf: Massenabfertigung! Lieblos wurde uns das begehrte Stück Edelmetall aus einem Karton heraus in die Hand gedrückt. Im Entenmarsch kämpften wir uns zurück zum Parkhaus.
Vielen Dank an dieser Stelle an Philipp, der mich bei der Parkhaus-Leitung rausboxte und mir ein Ausfahr-Ticket verschaffte.


Fazit: There is no finish line! Schon gar nicht beim Kwartmarathon in Utrecht. An diesem Tag war der Kwartmarathon 15km lang und hielt mit Irrwegen und Gegenverkehr einige Überraschungen für uns parat. Trotz des chaotischen und teilweise sogar gefährlichen Streckenverlaufs, war es ein rundum gelungenes Lauf-Wochenende, welches mir noch lange in Erinnerung bleiben wird.





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